Ludwigshafen Die Schnelllebigen und die Abgehängten

Rebecca Häusler (von links), Ayesha Katz und Pascal Sangl in „Winterschlaf“.
Rebecca Häusler (von links), Ayesha Katz und Pascal Sangl in »Winterschlaf«.

„Winterschlaf“ heißt ein Tanzstück, das die drei jungen Choreographen Amelia Eisen, Kirill Berezovski und Mike Planz zusammen erarbeitet haben und das nun am Theater Felina Premiere hatte.

Es ist so eine Sache mit dem freien zeitgenössischen Tanz. Viele tummeln sich dort, und viele können auch tanzen. International geschult in der Bewegungserzeugung gleiten sie pfeilschnell, jede Form nur passierend und meist in Alltagsklamotten, über den Tanzboden. Zwischendurch wird regungslos oder poetisch geschaut. Gefühle sind entsorgt, und wenn sie vorkommen, dann werden diese entweder zitiert oder herausgeschrien. Gelacht wird selten. „Research im Kollektiv“ heißen im freien zeitgenössischen Tanz seit vielen Jahren die Zauberwörter. Los geht das Sammeln von Gedanken und Ideen, Bewegungen werden ausprobiert, die gewonnenen Szenen und Erkenntnisse zu einem Abend zusammengestellt. Der freie Künstler, der mit seinem Werk alleine von seinem Weltempfinden erzählt, stirbt daneben, ohne dass es einer merkt. „Research“-Choreographien spiegeln im besten Fall einen Befund der Wirklichkeit oder klären auf. Gefühle werden entweder zitiert oder existieren nicht. Was sich die Choreographen und Tänzer vom Publikum an zu Lernendem wünschen, steht schließlich auf dem Programmzettel. Sei mutig, so zu leben, als ob es kein Morgen gäbe, steht da im Theater Felina Areal. Nur was ist, wenn die so entstandene Aufführung intelligenter ist als ihre Hersteller? Wenn die Aufführung wohin will, wo sie gar nicht hin darf? Das ist den Choreographen mit ihrem unpassend betitelten Stück „Winterschlaf“ so ergangen. Jeder von ihnen trat zunächst mit einem Tänzer an, und danach choreographierte jeder für alle Tänzer. Das waren die wunderbare Rebecca Häusler aus Mannheim, Ayesha Katz aus Australien und Pascal Sangl, ebenfalls in Mannheim lebend. Ihr Thema: die heutige Erfahrung von Zeit im immerselben Mantra der Schnellebigkeit der einen und der Langsamkeit der Abgehängten. Die Ankündigung verspricht also auch soziale Sprengkraft. Das sieht man nur nicht. Stattdessen ist ein Stillleben aus Sofa, Lampe und Tischchen zu sehen. Pascal Sangl sitzt da und liest im Smartphone-Zeitalter tatsächlich ein Buch. Rebecca Häusler wandert brav imaginäre Räume ab, vollzieht Alltagsbewegungen wie Zähneputzen, Wimperntuschen, Lippennachziehen und Espressokochen. Man möchte in diesem hyperrealistischen altmodischen Raum bleiben, die Ruhe der Menschen und der Szenerie genießen. Anstatt hier weiterzumachen, haben sich die Künstler anders entschieden. Ayesha Katz prescht als Irgendwer mit besagten zeitgenössischen Bewegungsflüssen in die Szene, rollt und schleudert sich über den Boden, dass die Haare wippen. Dann sagt Sangl auf Englisch wie ein Dichter, dass wir nur die Zeit haben. Was nicht stimmt, da wir nur unseren Körper haben und den Atem. Darüber aber wird vor lauter Intellektualität hinweggeschaut. Wie einen losen Faden lassen die Tänzer fortan den einzigen zauberhaften Moment ungenutzt sausen. Sie füllen die folgende Stunde mit nichtssagenden Bewegungsflüssen, unterschiedlich im Tempo, um unterschiedliches Zeitempfinden erfahrbar zu machen. Oder sie kreieren Momente, in denen veranschaulicht wird, dass Zeit nicht existiert, sondern das Vorherige im Jetzt und das Jetzt im Vorherigen. Zum Schluss zupft sich Häusler wieder die Wimpern. Als ob nichts gewesen wäre. Zeit ist vergangen. Termine Nächste Vorstellungen heute und morgen im Theater Felina Areal (Holzbauerstraße 6-8) um 19 Uhr. Karten unter der Rufnummer 0621/3364886.

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