Ludwigshafen Die Reportage aus Ludwigshafen: Gespräche mit Abstand

Am Hans -Warsch-Platz in Oggersheim sind nur wenige Menschen unterwegs.
Am Hans -Warsch-Platz in Oggersheim sind nur wenige Menschen unterwegs.

Halten sich die Menschen in den Stadtteilen an die Kontaktbeschränkungen, die die Behörden verordnet haben? Was ist anders in der Corona-Krise? Wir haben auf einigen Plätzen Ausschau gehalten. Vorgefunden haben wir einen Alltag, der im Moment keiner ist.

In Mundenheim war am meisten los, in Ruchheim kein Kinderlärm zu hören, und in der Gartenstadt bewegten sich, wie von Geisterhand gelenkt, Menschen in Zeitlupe. Vor allem ältere. Überall. Allein, höchstens zu zweit. Die Welt ist nicht mehr die alte. Denn in Oggersheim, am Schillerplatz, kann man bei offenem Fenster schlafen. So ruhig ist es.

Das sagt zumindest eine Frau, die überm „Schornick“, dem Hutgeschäft in der Schillerstraße, wohnt. Sie war auf dem Hans-Warsch-Platz die Häuserzeile entlang gekommen, vorbei an der geschlossenen Pizzeria „Da Vito“, die nun Haushalte beliefert und Gerichte zum Mitnehmen anbietet. Die Passantin im Alter um die 50 bestätigt, dass es nicht nur mittags „so ruhig“ sei, sondern „schon die ganze Zeit, seitdem das mit Corona losgegangen ist.“ Sie sagt, indem sie nach rechts und links sieht: „Es fehlt was.“ Mit der Kontaktbeschränkung scheint die freundliche Oggersheimerin kaum Probleme zu haben, doch ihre Töchter, 24 und 21, würden die Einschränkungen nicht gut wegstecken. „Die jüngere macht den Führerschein – und jetzt?“ Sie arbeitet in einem Friseurladen. „Auch der ist zu.“

Länger schlafen, ausgedehntes Frühstück

Ihren Alltag umgestellt haben auch die Witters, die in der Gartenstadt leben und dort gerade aus der Hochfeld-Apotheke in der Königsbacher Straße kommen. Bereitwillig lassen sie sich auf ein Gespräch – mit gebührendem Abstand – ein. Helga und Gerhard Witter sind jeweils 70 Jahre alt. Sie wirken vital. Wenn sie ihren Alltag schildern und erwähnen, dass sie seit 47 Jahren miteinander verheiratet sind, könnte man meinen, dass auch das unsichtbare Virus ihr Leben nicht umkrempeln konnte: länger schlafen, ausgedehntes Frühstück, dies und das, dann „sporteln, damit die Gelenke nicht einrosten“. Sonst nichts Aufregendes.

Erst auf die Frage, was vor der Krise anders war, legen die beiden mit funkelnden Augen los, als schwärmten sie von längst vergangenen Zeiten. Begeisterte Turniertänzer seien sie. „Und wir haben täglich bis zu zwei Stunden trainiert.“ Nun seien alle Turniere abgesagt. „Das hat uns kalt erwischt.“ Ebenso bedauerlich sei, dass sie mit ihren Kindern und Enkelkindern nur skypen können. Betreuen müssten sie das fünf Jahre alte Mädchen und den dreijährigen Bub nicht. Die Schwiegertochter sei Erzieherin und könne sie mitnehmen in ihre Einrichtung.

Hand im blauen Gummi

Die Gespräche auf Abstand, die an zwei Tagen der zu Ende gehenden Woche jeweils um die Mittagszeit stattgefunden haben, machen wenig Spaß. Man findet so gut wie keine Interviewpartner. Mit Paaren kann man eher plaudern. Einzelpersonen huschen vorbei. In Ruchheim hebt eine Frau, mit der sich am Schlösschen auf eine Entfernung von 20 Metern ein knapper Dialog entwickelt, die Hand im blauen Gummihandschuh. Ein deutliches Stoppzeichen, das der Reporter, der sich, um nicht über den leeren Platz zu brüllen, vorsichtig nähert, im eigenen Interesse respektiert. Zuvor war ihm ein Blatt an der Apothekentür aufgefallen: „Coronapause bis nach den Osterferien. Ich wünsche allen meinen Kunden viel Gesundheit.“

Im Nachhinein betrachtet, ging es dagegen in Mundenheim zwischen Hofgut und Haltestelle Am Schwanen wie in einem Bienenschwarm zu. Zwar waren auch nicht viele Menschen unterwegs, leere Bänke und gurrende Tauben bewachten den Park um Langemarck-Denkmal und Zedtwitz-Brunnen. Doch mit dem Taxifahrer, der sich an der Görtz-Bäckerei in seinem Auto langweilt, plaudert man gerne etwas länger. Zeit hat er ja. Auf der Scheibe der Beifahrertür klebt ein Zettel: „Bitte hinten einsteigen.“

Kein Theater, keine Gaststättenbesuche

Der Mann, mittelalt, der Sprachfärbung nach offenbar kein Pfälzer, sagt dazu, dass es „nichts bringt“, wenn die Fahrgäste hinter ihm sitzen. „Der Abstand ist zu klein.“ Es seien keine anderthalb Meter. Doch abgesehen davon nutze kaum jemand ein Taxi. „Es ist kein Theater, die Leute gehen nicht essen – alles geschlossen.“ Die Einnahmen seien armselig. Er rechnet nach, wie viel er bis jetzt, 14 Uhr, eingenommen hat, zieht 30 Euro für Diesel ab, bittet aber, die Summe nicht zu veröffentlichen. Jedenfalls sei es vor der Corona-Krise bis zu dreimal so viel gewesen.

Am Schwanen, wo – nicht wegen Corona, sondern wegen der maroden Pilzhochstraße in der Innenstadt und den gesperrten Straßenbahnunterführungen – nur Busse halten, sitzt einer der wenigen Menschen mit Gesichtsmaske. Ein dunkles Augenpaar ist darüber zu sehen. Die zierliche Frau stellt sich als Semsa vor und lächelt in die Kamera. Das verraten ihre Augen. 29 sei sie alt, die Maske habe sie selbst genäht, für sich, ihre drei Kinder und für ihre Cousine. Sie könne einige Sprachen, doch Deutsch sei die schwerste. Die Zahl für ihr Alter „schreibt“ sie auf ihren blauen Gummihandschuh. Damit nicht „92“ daraus wird. Semsa steigt in einen Bus Richtung Heinigstraße.

„Schaue zum Fenster raus“

Den nimmt auch Margit Brenner. Die 75-Jährige hatte zuvor erklärt, wie sie sich in der Pandemie verhält, da sie auf öffentliche Verkehrsmittel angewiesen sei. „Im Bus drehe ich mich um, schaue zum Fenster hinaus, und wenn ich nach Hause komme, wasche ich sofort die Hände und ziehe mich um.“ Während sie einsteigt, wünscht sie: „Bleiben Sie gesund.“

Hinweis an einem Taxi.
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Gerhard und Helga Witter vermissen ihr Tanztraining.
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Margit Brenner ist auf Busse und Bahnen angewiesen.
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Semsa Halikovic hat ihren Mundschutz selbst genäht.
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