Ludwigshafen „Die Gedenkkultur in der Ukraine ist noch jung“

Mit seiner Ausstellung „Gegen das Vergessen“ hat der Fotograf Luigi Toscano im Herbst vergangenen Jahres in Mannheim für Aufsehen gesorgt. Er installierte großformatige Porträts Überlebender des Holocausts, die er in Israel, in den USA, in der Ukraine und anderswo auf der Welt fotografiert hatte, an den Fenstern der Alten Feuerwache. In der Gedenkstätte von Babi Jar bei Kiew wird seine Ausstellung nun im September zu sehen sein. Weitere Stationen sind Dnjepropetrovsk und das ehemalige Lemberg. Im Gespräch mit Olivia Kaiser erzählte er, wie es dazu gekommen ist.

Luigi Toscano, wie waren die Reaktionen auf die Ausstellung „Gegen das Vergessen“?

Das war super. Es gab eine viel größere Resonanz als ich gedacht hätte. Ich bin von vielen Menschen darauf angesprochen worden und habe viele Mails bekommen. Der deutsche Botschafter in Washington hat über das Projekt getwittert und den Wunsch ausgesprochen, dass die Ausstellung in den USA gezeigt wird. Als ich das erfahren habe, war ich schon sehr überrascht. Klar gab es auch negative Kommentare, aber ich habe gelernt, mich damit nicht zu beschäftigen. Mein Ziel war es, die Ausstellung auch in anderen Ländern zu zeigen. Da ist es sicher hilfreich, dass mittlerweile Außenminister Walter Steinmeier die Schirmherrschaft für Ihr Projekt übernommen hat. Das stimmt. Zunächst war Mannheims Oberbürgermeister Peter Kurz Schirmherr. Ich wusste aber, wenn ich die Ausstellung international zeigen will, brauche ich noch einen bekannteren Namen. Ich habe im Büro des Oberbürgermeisters nachgefragt, was ich tun soll. Sein Referent hat in meinem Namen Walter Steinmeier angeschrieben. Aus dem Außenministerium kam dann sehr zügig die Antwort, dass Steinmeier die Schirmherrschaft übernimmt. Wieso haben Sie sich für die Ukraine als erste internationale Station entschieden? Schon während meiner ersten Reise in die Ukraine, um die Fotos zu machen, war die Zusammenarbeit mit Azhela Beljak, der Leiterin von „Aktion Sühnezeichen“ in der Ukraine, einfach klasse. Außerdem habe ich zahlenmäßig in der Ukraine die meisten Überlebenden porträtiert. Nachdem Steinmeier die Schirmherrschaft übernommen hatte, habe ich Kontakt mit der deutschen Botschaft in Kiew aufgenommen, und die hat schnell reagiert. Also bin ich im März in die Ukraine geflogen und habe in der Botschaft „Gegen das Vergessen“ vorgestellt. Der Kulturattaché gab mir daraufhin die Zusicherung, das Projekt finanziell zu unterstützen. Als dann auch das Goethe-Institut in Kiew seine Unterstützung zugesagt hat, war für mich die Entscheidung gefallen. „Gegen das Vergessen“ wird in der Gedenkstätte des Massakers von Babi Jar gezeigt. Hatten Sie diesen Ort von Anfang an im Blick? Nein, daran hatte ich gar nicht gedacht. Ich wollte die Bilder ja wieder an einer Fassade zeigen. Über Azhela Beljak ließ mir der Direktor der Gedenkstätte von Babi Jar eine Einladung zukommen. Dabei habe ich erfahren, dass sich 2016 das Massaker in der Schlucht von Babi Jar zum 75. Mal jährt. Ich habe Überlebende dieses Massakers fotografiert, deshalb wollte ich mir die Gedenkstätte anschauen. Das war ein sehr emotionaler Besuch, und mir wurde klar: Ich muss es hier machen. Auch wenn Sie dafür das Konzept der Ausstellung ändern mussten? Als ich diese Entscheidung gefällt hatte, war klar, dass ich das Konzept flexibler machen muss. Ich schlug also vor, es unmittelbar an der Gedenkstätte zu machen. Da gab es zunächst keine Einwände. Zu Hause habe ich ein Konzept entworfen, bin im Mai noch einmal nach Kiew geflogen und habe dem Direktor meine Idee vorgestellt. Er hat mir dann per Handschlag zugesichert, dass er die Ausstellung zeigen will. Und er hat Wort gehalten. Und wie sieht die Idee aus? Die Bilder werden rechts und links von den beiden Hauptwegen positioniert, so entsteht eine Art Allee. Gezeigt werden 50 Porträts, davon sind die Hälfte der Abgebildeten ukrainische Juden oder ehemalige Zwangsarbeiter, die andere Hälfte durchmische ich mit Porträts aus den anderen Ländern. Die Bilder sind deutlich größer als bei der Ausstellung in Mannheim: fast drei Meter hoch und 1,80 Meter breit. Sie bestehen wie schon an der Feuerwache aus wetterbeständigem Stoff und werden an Pfosten befestigt. Wie gehen die Ukrainer mit der Erinnerung an den Krieg um? Man muss sich vor Augen halten, dass es eine Art der Gedenkkultur wie bei uns dort erst seit wenigen Jahren gibt. Man fängt gerade erst an, Gedenkstätten zu errichten oder Denkmäler zu bauen. Es gab in der Sowjetzeit schon eine Art Gedenkstätte bei Babi Jar, aber man durfte über das Geschehene nicht öffentlich sprechen. Die Gedenkkultur ist also noch sehr jung, doch sie hat eine sehr hohe Priorität. In welchem Zeitraum wird Ihre Ausstellung zu sehen sein? „Gegen das Vergessen“ ist zunächst vom 21. bis 29. September in der Gedenkstätte von Babi Jar zu sehen. In dieser Woche finden in ganz Kiew Gedenkveranstaltungen statt. Am 29. September ist ein großer Staatsakt mit internationalen Staatschefs und Politikern in der Gedenkstätte geplant. Aus Deutschland werden entweder die Kanzlerin oder mein Schirmherr, der Außenminister, erwartet. Ich wurde auch eingeladen und bin schon sehr gespannt, wie das alles ablaufen wird. Die Politiker werden wohl den Rundweg gehen und meine Bilder sehen. Im Januar wandert die Ausstellung weiter in die Ostukraine nach Dnjepropetrovsk. Dort wird sie im Holocaust-Museum gezeigt. Die nächste Station ist dann das nationale Gedenkmuseum in Lwiw, dem ehemaligen Lemberg. Sie sind auch in die Ostukraine gereist, wo de facto Kriegszustand herrscht. Was haben Sie dort erlebt? Stimmt, ich war in Dnjepropetrovsk. Das war schon etwas seltsam. In Kiew scheint der Krieg weit weg. Im Osten war die Stimmung schon rauer. Man sieht vermehrt Militärzeuge und viele Soldaten. Die Menschen dort sind jedoch sehr gebeutelt und hoffen, dass die Kämpfe bald aufhören. Ich war allerdings weit genug von der Front entfernt und habe keinerlei Kampfhandlungen miterlebt. Gibt es Pläne, „Gegen das Vergessen“ auch in anderen Ländern zu zeigen? Ich habe Kontakte nach Amerika und Israel, möchte mich aber zunächst auf die Ukraine konzentrieren. Ich bin glücklich, dass ich das ursprüngliche Konzept aufgebrochen habe. Jetzt bietet sich die Möglichkeit, die Ausstellung jetzt auch auf Plätzen zu zeigen. Ich habe auch zum NS-Dokumentationszentrum in München Kontakt, und in Stuttgart könnte „Gegen das Vergessen“ ebenfalls bald zu sehen sein. | Interview: Olivia Kaiser

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