Ludwigshafen Die Bombe tickt

Die Regisseurin Felicitas Brucker inszeniert das Epos von den beiden Frauen Lenú und Lila, die sich gegenseitig spiegeln und bef
Die Regisseurin Felicitas Brucker inszeniert das Epos von den beiden Frauen Lenú und Lila, die sich gegenseitig spiegeln und beflügeln, aber auch im erbitterten Wettstreit liegen.

Lila nimmt Lenús Puppe und wirft sie in den Kellerschacht, dorthin wo Finsternis, Spinnweben und der Unhold Don Achille herrschen. Und trotzdem beginnt in diesem Hinterhof eine lebenslange Freundschaft, die von Konkurrenz geprägt ist. Aber die beiden Mädchen spiegeln, beflügeln und nähren sich auch gegenseitig mit ihrer Intelligenz und dem Willen, die trostlosen Verhältnisse zu verlassen. Die eine – Lenú – schafft es über Fleiß und Bildung. Der anderen – der scharfsinnigen Lila – wird dieser Weg verwehrt, und sie heiratet den einflussreichen Lebensmittelhändler. Zwei Frauen, die ihr Schicksal wenden, scheitern und doch weitergehen, bis sich Lila mit 66 Jahren spurlos auflöst, als hätte sie nie existiert. Lenú als angesehene Schriftstellerin fügt die Erinnerungsfetzen zusammen und schreibt auf 2200 Seiten gegen das Verschwinden ihrer Freundin an. „Der Roman steckt voller Gewalt und Verzweiflung, und dennoch hat er eine unglaubliche Kraft, die lebensbejahend ist, kämpferisch. Die Sprache ist der Motor, der all dem etwas entgegensetzt“, sagt die Regisseurin Felicitas Brucker. Der vierbändige Roman der italienischen Autorin, die unter dem Pseudonym Elena Ferrante publiziert, ist ein Phänomen: International fieberten Millionen Leser auf das Erscheinen der Fortsetzungen hin. Insofern ist es ein kluger Schachzug, dass der Schauspielintendant des Nationaltheaters, Christian Holtzhauer, die Regisseurin bat, den Roman zu inszenieren, Band eins und zwei an einem Abend – Fortsetzung folgt. „Mehr Perspektivwechsel“ – mit dem Ziel ist der Intendant in dieser Spielzeit angetreten, und dazu passt dieses Projekt, erklärt Holtzhauer: die Geschichte einer Selbstermächtigung, ein Stoff aus dem 20. Jahrhundert, große Frauenrollen. Das komplex gewebte Epos zu inszenieren, ist aber auch ein Wagnis. „Wir sind dabei, die Erzählform für die Bühne während der Proben weiterzuentwickeln“, sagt die 44-Jährige gebürtige Stuttgarterin. „Ich habe noch nie so viele Nächte damit verbracht, an einer Fassung zu feilen.“ Brucker gehört zu den renommierten Regisseuren ihrer Generation, die an den Stadttheatern gefragt sind. Als Erfolgsgeschichte liest sich ihre Biografie, beginnend an den Münchner Kammerspielen, übers Schauspielhaus Wien bis zur Gastregie am Thalia Theater Hamburg oder Maxim Gorki Theater Berlin. Doch sie selbst findet ihren Weg „wenig geradlinig“. Zu viele Wendepunkte, an denen sie einen anderen hätte einschlagen können. Eigentlich begann es mit Musik und Tanz. Brucker lernte Klavier und spielte E-Bass in einer Band, beschäftigte sich mit Choreografie. Vielleicht erspähen Kritiker deshalb eine „Choreografie der Begegnungen“ in manchen Stücken. Und auch ihr Gefühl für das Rhythmische und Musik als erzählerisches Mittel fallen immer wieder auf. Brucker interessiert sich für politische Stoffe und Theorien – hat sie doch Literatur- und Kommunikationswissenschaften in München studiert, bevor sie einen Master in Regie am linksliberalen Goldsmith-Collage in London draufsattelte. Warum schließlich Theater? „Weil es alles verbindet: Sprache, Musik, Bewegung.“ Vielleicht lässt sie sich deshalb nicht so schnell festlegen. Mal setzt sie auf Wortwitz und Monologe, mal auf Regieeinfälle vom brennenden Dreirad bis zum Gemetzel hinter Glas. Entscheidend ist für sie das „utopische Moment des Theaters, die Chance auf Verwandlung. Jeder Abend muss für den Zuschauer eine Brisanz für das hier und heute haben.“ Für „Meine geniale Freundin“ hat sie eine filmische Struktur gefunden, in der Momentaufnahmen als Splitter der Erinnerung aufpoppen. Die Regisseurin versucht, die neuralgischen Punkte aufzuspüren: Wie Lila dem Mafia-Sohn Marcello das Messer an die Kehle setzt. Eine Studentenparty, auf der sich Lenú wie ein Fremdkörper fühlt, obwohl sie in diese Welt aufsteigen will. Kann sie sich neu erfinden? „Man hätte es auch als Kammerspiel für zwei Frauen inszenieren können“, überlegte Brucker kurz, aber entschied sich dagegen. Zu schillernd ist das Kaleidoskop an Figuren, die sie in ihrer Widersprüchlichkeit faszinieren. „Keiner ist nur gut oder böse, Täter oder Opfer. Selbst das Handeln der Solara-Brüder als Teil der Camorra kann man zumindest nachvollziehen.“ Sie will die Zeit der 50er und 60er-Jahre auferstehen lassen, ohne zu viel Lokalkolorit zu bedienen, und mit einem Ensemble von elf Spielern die Machtstrukturen zeigen. „Es geht um Frauen, aber um Frauen (nur) im Spiegel und im Spiel mit Männern“, sagt Brucker. „Lila lässt sich nicht zum Opfer dieser gewalttätigen Welt machen und provoziert damit. Sie ist eine tickende Bombe.“ Neapel interpretiert Brucker letztlich als „symbolischer Ort“. Neapel ist überall, auch hier und jetzt. Termin Premiere „Meine geniale Freundin“ am Mannheimer Nationaltheater am Samstag, 23. Februar, 19 Uhr. Weitere Termine: 28. Februar, 10., 14., 19. und 31. März. Karten unter Telefon 0621/1680150.

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