Rhein-Pfalz Kreis Der Gutachter als wichtigster Mann

Der junge Mann muss nicht in ein psychiatrisches Krankenhaus, sondern in eine Entzugsklinik.
Der junge Mann muss nicht in ein psychiatrisches Krankenhaus, sondern in eine Entzugsklinik.

«Frankenthal/Böhl-Iggelheim.» Der Gutachter spricht das aus, was der Zuschauer denkt. „Das war gerade eine 160-Grad-Wendung des jungen Kollegen“, sagt er und meint den Psychologen der psychiatrischen Einrichtung, in der sich der Angeklagte gerade befindet. Der 25-Jährige aus Böhl-Iggelheim hatte seinen Betreuer von der Schweigepflicht entbunden. Und der führt nun aus, dass der Angeklagte nach seiner Ankunft in der Klinik zwar unruhig gewesen sei, misstrauisch und vorsichtig. Sonst aber „ist nichts feststellbar gewesen, was auf eine Psychose hindeutet“, sagt er. Andere Behandler hätten in der Vergangenheit den Verdacht der Schizophrenie geäußert, er könne das nicht bestätigen. „Im Vergleich zu den anderen auf der Station zählt er zu den gesünderen Patienten.“ Aktuell bekomme er keine Medikamente, nehme an Einzelgesprächen teil, mache bei der Ergo- und der Sporttherapie mit. Es sei jedoch schwierig einzuschätzen, ob der junge Mann auch „draußen“ leben könnte. „Ich möchte Sie nicht in die Ecke drängen“, sagt der Gutachter zum Psychologen. Aber er vermisse eine konkrete Diagnose und stellt bohrende Nachfragen zu fehlender Einsicht und mangelndem Verständnis des Angeklagten für seinen Aufenthalt in der Klinik. Dann sagt der Psychologe Dinge, die seiner bisherigen Aussage ziemlich entgegenstehen. „Ein Problem, das der Angeklagte nicht sieht, sind die Drogen.“ Und „man könnte es als wahnhaft ansehen“, dass der Angeklagte annehme, Polizei und Ärzte steckten unter einer Decke und wollten ihm etwas Schlechtes. „Ich habe den Verdacht, dass es in Richtung einer paranoiden Persönlichkeitsstörung geht“, sagt der Psychologe. Da vergräbt der Angeklagte sein Gesicht nur noch in seinen Händen, stützt die Ellbogen auf den Tisch und schüttelt mit dem Kopf. Der Gutachter spielt an diesem letzten, knapp sieben Stunden dauernden Prozesstag am Landgericht Frankenthal die zentrale Rolle. Denn daran, dass der Angeklagte Anfang Mai dieses Jahres die beiden Molotow-Cocktails in Böhl-Iggelheim an eine Hauswand und einen Torpfosten geworfen hat, hat das Gericht keine Zweifel. Die Beweise wiegen schwer – der Benzin-Kauf an der Tankstelle, die nach Benzin riechenden Gießkannen, die im Garten seines Vaters gefunden wurden, die Analyse der Flüssigkeiten. Zwar explodierten die Brandsätze nicht – aber das Gefährdungspotential war groß. Neben den Molotow-Cocktails geht es um Sachbeschädigung, und auch hier ist die Sache eindeutig. Die Zeugen belasten den Angeklagten, gestern sagen der Geschädigte und dessen Sohn aus. Der 25-Jährige hatte es vor allem auf das Anwesen der Familie abgesehen, Briefkasten und Klingelanlage zerstört, die Rückspiegel an Autos abgeschlagen. Mit dem Vater hatte der Angeklagte eine körperliche Auseinandersetzung. „In dem Moment hat er einen ziemlich verwirrten Eindruck gemacht“, sagt der Sohn. Die Frage, die sich dem Gericht stellt, lautet: Ist der Angeklagte überhaupt schuldfähig? Offenbar hat er einen Hang zum Drogenkonsum, auch als er in die psychiatrische Klinik kam, wurden Cannabis und Amphetamine festgestellt. „Das Bild rundet sich“, sagt der Gutachter. Und doch hat er ein Problem: Der Angeklagte verweigerte strikt die Zusammenarbeit. Ein Gespräch hat es nicht gegeben. „Ich bin darauf angewiesen, aus den Akten zu schöpfen“, sagt der Psychiater. Er fasst die Prozesstage zusammen, zählt zusätzlich zu den Anklagepunkten mehr als 20 polizeibekannte Vorfälle auf, spricht von einer geringen Frustrationstoleranz des jungen Mannes, von einer hohen Aggressivität. „Er ist ein 25-jähriger Mann mit durchschnittlicher Intelligenz. Sonst funktioniert in seinem Leben aber nichts“, sagt er. Dennoch fällt ihm eine grundsätzliche Beurteilung schwer, er stellt der psychiatrischen Einrichtung ein diagnostisch mangelhaftes Zeugnis aus. Sie habe ihre Aufgabe nicht erfüllt, sagt er und geht davon aus, dass der massive Drogenkonsum eine seelische Störung hervorgerufen hat. Eine Psychose aus dem schizophrenen Formenkreis sei wahrscheinlich, aber nicht nachgewiesen. Deshalb sei nicht von einer kompletten Schuldunfähigkeit auszugehen – mit Ausnahme des Gerangels mit dem Geschädigten. Zudem spricht der Gutachter von einer dissozialen Persönlichkeitsstörung, für die eine „Alles-egal-Einstellung“ kennzeichnend sei und einem starken Wunsch nach Drogenkonsum. Er empfiehlt die Unterbringung in einer Entziehungseinrichtung. Im Raum steht auch der dauerhafte Verbleib in einem psychiatrischen Krankenhaus. „Dafür fehlt die belastbare Diagnose“, sagt der Verteidiger. Es sei gut, dass der Gutachter dieses „scharfe Schwert“ stecken lässt. Die Strafkammer folgt dem Antrag der Staatsanwaltschaft: Vermindert schuldfähig, ein Jahr und drei Monate Freiheitsstrafe, keine Bewährung, Aufenthalt in der Entzugsklinik. Dabei, so ist der Verteidiger sicher, „könnten die Erfolgsaussichten geweckt werden“. Auch da schließt er sich dem Gutachter an: „Vielleicht findet er die Motivation, seinem Leben eine neue Richtung zu geben“, sagt er.

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