Ludwigshafen Der Charme alter Fabrikgebäude

Fundgrube Ludwigshafen: Barbara Ritter, Vorsitzende des Vereins Rhein-Neckar-Industriekultur, im Ludwigshafener Westend.
Fundgrube Ludwigshafen: Barbara Ritter, Vorsitzende des Vereins Rhein-Neckar-Industriekultur, im Ludwigshafener Westend.

Industriekultur ist beliebt und zieht Massen an. Rheinland-Pfalz hat für den diesjährigen Landeskultursommer „Industriekultur“ als Motto ausgegeben. Der Mannheimer Verein Rhein-Neckar-Industriekultur bietet landesweit 23 Veranstaltungen an, davon allein neun im Ludwigshafener Kultursommer. Die Vorsitzende Barbara Ritter erläuterte die Ziele des Vereins.

Insbesondere der Verein Rhein-Neckar-Industriekultur ist es, der das Landesmotto in den städtischen Kultursommer trägt. Und seine Veranstaltungen stoßen auf großes Interesse. 160 Teilnehmer, sagt die Vorsitzende Barbara Ritter, zählte Ende Juni eine Besichtigung des Industriestandorts Ludwigshafen von einem Rheinschiff aus. Die Nachfrage war noch viel größer, aber das Fassungsvermögen des Schiffes nicht. Um die 50 Interessenten kamen zu Lesungen, die der Verein mit der Stadtbibliothek ausgerichtet hat, wie der von Billy Hutter, der aus seiner Biographie eines Eigenbrötlers in den Jahren des Wirtschaftswunders las, oder zu Stadtführungen wie der durch das Westend mit seiner früheren Arbeitersiedlung und der anschließenden Vorführung des Films „Nachttanke“. 60 Anmeldungen schließlich gibt es schon für die Lesung „Die Alkoholraffinerie“ in der Leerguthalle von Berkel in Rheingönheim. Die Tochter des Besitzers der Spritfabrik liest aus einem in den 50er Jahren spielenden Krimi, den der Seniorchef geschrieben hat. Zuvor führt der Sohn und Juniorchef Matthias Berkel durch die Industrieanlage. Bei der Lesung sind noch Plätze frei, denn bis zu 150 Besucher fasst die Leerguthalle, schätzt Barbara Ritter. Schon die Programmhefte des Vereins sind sehr begehrt. Über 40 Veranstaltungen bietet er im zweiten Halbjahr, von Vorträgen über Spaziergänge und Radtouren bis zu Besichtigungen und Schiffstouren. Bezeichnend für die Beliebtheit der Denkmäler der jüngsten Vergangenheit sind die erst Anfang August zu Ende gegangenen „Tage der Industriekultur“ in Frankfurt und Umgebung. Satte 22.000 Besucher innerhalb von nur einer Woche zählte der Veranstalter. Unter anderem standen dort Besichtigungen des Rolls-Royce-Turbinenwerks in Oberursel und der Sektmanufaktur Schloss Vaux in Eltville auf dem Programm. Und das derzeit noch bis 23. September laufende Festival „Ruhrtriennale“ in Nordrhein-Westfalen nutzt für seine Kulturveranstaltungen den Charme stillgelegter Zechen und Industrieanlagen. Vielleicht ist das wachsende Interesse an Industriedenkmälern, von denen ein gewisses nostalgisches Flair ausgeht, ja ein untrügliches Indiz dafür, dass eine Periode der Geschichte alt geworden ist, nämlich das mit der industriellen Revolution einsetzende Maschinenzeitalter der Mechanisierung, und dass eine neue Epoche beginnt: die der Automatisierung und Computerisierung. Als der Verein sich vor zwölf Jahren nach und nach in Mannheim gegründet hat, stand Industriekultur jedenfalls noch nicht so hoch im Kurs. Sie war auch noch kein Freizeit- und Vergnügungsfaktor, erinnert sich die Vorsitzende. Mannheim pflegte damals das Image einer Einkaufs- und Kurpfälzer Barockstadt, um Touristen anzuziehen. Inzwischen wirkt Industriekultur magnetisch. Das Ruhrgebiet war Vorreiter, etwa mit der Zeche Zollern in Dortmund, einer Ikone der Industriekultur. Frankfurt ist eine Hochburg, aber auch in Bayern oder in Franken erfreuen sich Besichtigungen von Gebäuden aus dem Industriezeitalter großer Beliebtheit. Auch Mannheim hat viele Denkmäler vorzuweisen, sagt Barbara Ritter. Der Industriehafen etwa sei bestückt mit alten Gebäuden, die inzwischen zu anderen als zu industriellen Zwecken genutzt würden. Barbara Ritter nennt nur die frühere Bettfederfabrik, in der jetzt 40 bis 50 kleinere Betriebe, darunter viele junge Start-up-Unternehmen, untergebracht seien. Ludwigshafen ist für den Verein selbstverständlich ebenfalls eine Fundgrube. Vor allem im Siedlungsbau habe die Stadt architektonisch einiges vorzuweisen, sagt die Vorsitzende. Barbara Ritter nennt nur den Roten und Grünen Hof, die Ebertsiedlung, das Westend und die BASF-Kolonie. Schon vor zehn Jahren, als der Verein sich gerade gegründet hatte, veranstaltete der Verein daher Bustouren mit der Wohnungsbaugesellschaft GAG und dem städtischen Denkmalschützer Matthias Ehringer. Barbara Ritter kam nicht durch ihren Beruf zur Industriekultur. Bis zu ihrer Pensionierung vor sieben Jahren arbeitete sie in der Erwachsenenbildung und als Marketingleiterin eines Betriebs. Im Urlaub, erinnert sie sich, zogen sie allerdings damals schon Besichtigungen von Industriedenkmälern an, etwa im Saarland die Völklinger Hütte. Sie nimmt an, dass ihr Vater, ein Architekt und Stadtplaner, ihr schon als Kind eine gewisse Aufgeschlossenheit für Technik vermittelt hat. Mit ihrem Mann und mit Bekannten, die ihr Interesse teilten, gründete sie schließlich vor zehn Jahren den Verein Rhein-Neckar-Industriekultur. Er hat nur etwa 25 Mitglieder. Die meisten, nämlich zwei Drittel, kommen aus Mannheim, die anderen aus der Region. Von den Mitgliedern im Alter zwischen 40 und 75 Jahren ist nur einer durch seinen Beruf einschlägig vorgeprägt. Er ist Industriearchäologe und war bis zu seinem Ruhestand im Technoseum beschäftigt. Das nächste Jahr wird für den Verein ein Festjahr. Dann nämlich wird das die Zeit nach dem Ersten Weltkrieg stilprägende Bauhaus hundert Jahre. Und in Mannheim gibt es etliche typische Gebäude im Bauhaus-Stil, etwa das Straßenbahnwartehäuschen am Tattersall oder das AOK-Gebäude gegenüber dem Theresienkrankenhaus. Termine —Donnerstag, 23. August, 18 Uhr: „Die Alkoholraffinerie“ in der Leerguthalle von Berkel AHK, Erbachstraße 18 in Ludwigshafen-Rheingönheim: Besichtigung und Lesung —Donnerstag, 30. August, 18.30 Uhr: Streifzug durch die BASF-Kolonie. Anmeldung unter www.rhein-neckar-industriekultur.de

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