Ludwigshafen „Das ist meine Ode an die Kittelschürze“

Steffen Herbold gräbt nach Geschichten aus der Nachkriegszeit.
Steffen Herbold gräbt nach Geschichten aus der Nachkriegszeit.

Steffen Herbold ist schon mit Theaterstücken, Libretti und Erzählungen hervorgetreten. Jetzt hat er mit dem Zeichner Martin Burkhardt zusammen ein Bilderbuch für Erwachsene herausgebracht. Im Gespräch hat er es vorgestellt.

Wann war Ihnen klar, dass Ihre Großtante eines Tages als Figur in einem Buch würde auftauchen können?

Es ist ja nicht sie selbst, sondern „Die stramme Helene“ basiert auf Elementen ihres Lebens. Aber ich interessiere mich schon lange für den Alltag in der Nachkriegszeit, wie sich das Leben in Deutschland neu formiert hat, wie sich das Leben in der Familie entwickelt hat und was das genau für Leute waren, die man nur von Hochzeiten, Beerdigungen und Geburtstagen kannte. Ich gehe der Frage nach, was sie für persönliche Geschichten hatten. Und natürlich, wie sich das in die Zeit sortiert hat. Das läuft heute vielfach unter der Überschrift Wirtschaftswunder-Folklore, aber das war natürlich eine vielschichtige Zeit, in der sehr viel passiert ist und in der auch viel zugedeckt worden ist. Über viele Dinge wurde geschwiegen. Ich bin Jahrgang 1961, für mich ist meine Kindheit in den Sechzigern und Siebzigern zugleich eine Schlüsselzeit, eine Art Übergang. „Übergang“, was meinen Sie damit? Wie hat sich das für Sie dargestellt? In der Wohnung meiner Großmutter Mitte der sechziger Jahre – sie lebte in der Neckarstadt – stand in der Küche auf dem Herd noch ein großer eiserner Kessel, in dem die Unterwäsche gekocht wurde. Und wenn man durch den Flur gelaufen ist, kam das Zimmer meines Onkels, der damals Anfang 20 war. Und da war ein Plattenspieler, neben dem „Sgt. Pepper’s Lonely Hearts Club Band“ von den Beatles lag. Der eiserne Kessel hier und diese Schallplatte dort, das ist für mich schon ein Sinnbild dafür geworden, was es für eine Kluft gab und wie anders die nächste Generation die Welt wahrnahm, was sie für einen Sprung im Bewusstsein, bei den Träumen und Wünschen gemacht hat. Und dennoch haben Sie sich nicht den Plattenliebhaber als Figur ausgesucht, sondern die stramme Helene ... Ja, weil es mich sehr stark interessiert hat, wie Helene und Karl, beides noch Figuren, die in der Diktatur, im Krieg verankert sind, ihre Konflikte ausgefochten haben – und zwar in einer Zeit, in der weder das Wort Trauma, noch das Wort Emanzipation oder derlei erfunden war. Es hat mich sehr fasziniert, eine Figur zu schildern, die einfach versuchen muss, ihren eigenen Weg zu finden, und wie sie der Gewalt in ihrer Beziehung Herr wird. Hat das Ehepaar die Konflikte überhaupt ausgetragen? Oder ging Helene nicht zuallererst in Deckung? Ja, das war sicherlich eine Strategie. Ich hatte durch diese Geschichte Gespräche mit Bekannten. Zweimal hat mir jemand erzählt, dass die heimliche Verabreichung von Antabus-Tabletten gegen Alkoholsucht auch in ihrer Familie vorgekommen ist. Es war anscheinend eine verbotene, aber verbreitete Praxis, die Frauen angewandt haben, damit ihre alkoholkranken Männer nicht weiter getrunken haben. Ich habe die Erzählung auch mal als „Ode an die Kittelschürze“ bezeichnet. Früher gab es Legionen von Frauen, die nur in diesem Zustand „Kittelschürze“ existiert haben. Warum haben Sie sich entschlossen, die Geschichte in einem Bilderbuch für Erwachsene zu transportieren – und nicht als reine Erzählung? Das hat viel damit zu tun, dass ich es liebe, mit dem Mannheimer Kunstanstifter Verlag zusammenzuarbeiten, der diese handillustrierten Bücher verlegt. Die Verleger Susanne und Niklas Thierfelder sind ein richtiger Gewinn für mich. Die Arbeit mit dem Zeichner Martin Burkhardt ist wunderbar und macht viel Spaß. Er hat sich sehr liebevoll in die Zeit versetzt. Großartig. Generell ist es spannend, die Themen auch illustrativ aufzulösen. Es gibt also keinen tieferen konzeptionellen Grund für die Entscheidung, es sind eher natürliche Linien. Im Nachwort des Buches beklagen Sie, dass viele Ihrer Creative-Writing-Studenten nicht wissen, was die Großeltern von Beruf waren. Tatsächlich? Ja, das ist so. Ich mache sehr oft die Erfahrung, dass das Wissen um persönliche Quellen für viele gar nicht mehr existiert. Warum ist das so? Eine Erklärung: Mit Sicherheit wird die heutige Generation medial so zugedonnert mit vorgefertigten Geschichten, dass das, was bei Familienfeiern erzählt wird, gar nicht mehr als interessant wahrgenommen wird. Vielleicht ist es auch ein gesellschaftliches Problem? Die Familie als Institution schwächelt. Man hat vielerorts ja den berüchtigten Hufeisentisch bei Familienfeiern gar nicht mehr. Und wie oft höre ich: Ich kenne meine Großeltern gar nicht. Es gibt die Scheidungsgeschichten. Patchwork-Kinder sagen, ich kenne meinen Vater nicht so genau. Ich versuche dann klarzumachen: Leute, grabt ein wenig, dann werdet ihr aufregende Dinge entdecken. Im Nachwort schreiben Sie auch, das Erzählen im neuen Jahrhundert sei anders als noch im 20. Jahrhundert. Ist das wirklich so? Ich nehme das oft so wahr. Denken wir zum Beispiel an den riesigen Erfolg, den Fantasy-Geschichten bei jungen Leuten haben. Aber da werden Phantasie-Szenarien aufgebaut, im Gegensatz zu einem Erzähler wie etwa Uwe Timm, bei dem ich bewundere, mit welch leichter Hand er seine Themen aufarbeitet, beispielsweise in der „Erfindung der Currywurst“. Wie geht es bei Ihnen weiter? Um den Komplex der strammen Helene herum möchte ich drei, vier weitere Erzählungen schreiben, damit es ein rundes Bild gibt. Ich habe sie schon skizziert. | Interview: Udo Schöpfer

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