Rhein-Pfalz Kreis Das geplatzte Gummi

Wie es ist, wenn die Unterhose unfreiwillig Hauptdarsteller eines Krimiabends wird, weiß Autor Harald Schneider nur zu gut.  Fot
Wie es ist, wenn die Unterhose unfreiwillig Hauptdarsteller eines Krimiabends wird, weiß Autor Harald Schneider nur zu gut.

Sommergeschichten: Über geplatzte Gummis sind schon viele Witze gemacht worden. Für Betroffene ist das nicht lustig. Harald Schneider ist sein Gummi live vor 80 Zuschauern geplatzt. Bevor jetzt aber falsche Gedanken aufkommen: Es passierte zwar in der Gesäßgegend, hatte aber nichts mit Bettgeschichten zu tun.

Es hätte so ein schöner Tag werden können. Oder besser gesagt – so sei ein schöner Krimiabend. Es passierte in „Bad Irgendwo“ in einer voll besetzten Stadtbücherei. Gebucht war eine Duoveranstaltung der Arbeitsgemeinschaft Klang und Mord. Der skurrile Percussionist Pit Vogel bearbeitete seine seltsamen Klanginstrumente und ich las im Stehen aus meinem neusten Palzki-Krimi. Dabei agiere ich oft recht aktiv auf der Bühne. Die Begrüßungsworte der Büchereileiterin waren gerade verhallt und ich im Mittelpunkt der Bühne angekommen, da bemerkte ich ein kurzes und leichtes Ziepen im Beckenbereich. Noch wurde mir die sprichwörtliche Tragweite des Geschehens nicht bewusst. Während ich aber einleitende Worte vortrug, griff ich zufällig mit meiner linken Hand unauffällig in meine Hosentasche und zog mit Daumen und Zeigefinger meinen Slip wieder in die Horizontale. Doch ohne Gummi war dies eine reine Sisyphusarbeit. Bei jeder Bewegung nutzte meine Unterhose die physikalischen Gegebenheiten rigoros aus und bewies 300 Jahre nach Newton die Gültigkeit der Schwerkraftgesetze.

Nach fünf Minuten hingen die beiden Beinöffnungen meines Slips kurz oberhalb der Kniekehlen. Das Gefühl, mit nacktem Hintern vor 80 Leuten zu stehen, war unbeschreiblich. Die Taktik, mich auf die vorzulesende Geschichte zu konzentrieren, klappte nur bis zur jeweils nächsten Bewegung. Jedes Lächeln oder Lachen der Zuhörer interpretierte ich nicht als Feedback meiner Vortragskunst, sondern als Entdeckung meines privaten Geheimnisses.

Dem nicht genug, saß in der ersten Reihe eine Dame mit einem dauerfetten Grinsen, die ständig vielsagend nickte, so als hätte sie meine unfreiwillige exhibitionistische Neigung längst zur Kenntnis genommen. Es war unmöglich, den Blick längere Zeit von ihr abzuwenden.

Geräusche übelster Art aus der Toilette

Nach 45 Minuten war es geschafft, die Pause war erreicht. Normalerweise setze ich mich dann an den Büchertisch und beginne fleißig zu signieren. Der Büchereileiterin raunte ich etwas von Darmproblemen zu, und dass ich leider erst nach der Veranstaltung signieren könnte. Ich kam zu spät, die Herrentoilette besaß nur eine einzige Kabine, und die war besetzt. Dauerbrummgeräusche übelster Art und Geruches schallten und schwebten durch den hellhörigen Raum. Ich stand da und litt. Ein Urinbeckenbenutzer fragte mich sogar aus Spaß, ob ich die neue Aufsicht wäre.

Zehn Minuten später, die Pause näherte sich dem Ende, ging die Kabinentür auf und ein älterer Mann kam lächelnd und sichtbar erleichtert heraus. Und ich hinein. Das war kein Ort für feine Nasen. Olfaktorisch lag ein klarer Verstoß gegen die Genfer Konventionen vor. Doch ich hatte etwas anderes zu erledigen. Im Nachhinein wäre es wohl das Beste gewesen, den defekten Slip auszuziehen, doch auf die besseren Ideen kommt man meist erst später. Bereits zu Pausenbeginn hatte ich eine Rolle Kreppband eingesteckt, mit dem ich zwecks Dekoration die Bühne mit ein paar Meter Polizeiabsperrband abgeklebt hatte. In meiner Not fixierte ich den Slip an der idealtypischen Stelle meines Unterkörpers mit mehreren Streifen Kreppband. Insgesamt sah das Resultat etwas verwegen aus.

Hardcore-Epilierer für Masochisten

Kaum fertig, hörte ich, wie Pit den Gong zum Pausenende schlug. Die folgenden zwanzig Meter, dabei musste ich noch eine Etage nach oben gehen, waren die Schlimmsten meines Lebens. Es ist nämlich so, dass ich über einen wilden Haarwuchs verfüge. Der Slip zog erbarmungslos nach unten. Die Kreppbandstreifen, ich glaube, es waren deren acht, reizten durch den Zug die Haut, und was noch schlimmer war, sie zerrten an den zahlreichen Körperhaare. Ich hatte gerade den Hardcore-Epilierer für Masochisten erfunden. Zwar mit leichten Kinderkrankheiten, aber er funktionierte zur vollen Befriedigung.

Ich quälte mich durch weitere 45 Minuten und ignorierte selbst den Klebebandstreifen der sich irgendwann löste und am Ausgang des Hosenbeins herausfiel. Wahrscheinlich hat es außer mir niemand gesehen. Dann fiel mir während des Vortrages ein, dass weiterer Pein drohte. Die Büchereileiterin hatte Pit und mich nach der Veranstaltung zum Essen eingeladen. „Da können wir hinlaufen, sind nur etwa zweihundert Meter“, hallte mir das Gesagte durch den Kopf, während ich mich bemühte, nur das vorzutragen, was auch im Buch stand. Da soll noch mal eine Frau sagen, Männer wären nicht multitaskingfähig: Vorlesen, die Schmerzen ertragen und eine Ausrede überlegen, um das Essen abzusagen. Eine Vermischung dieser drei Tasks wäre mindestens tödlich gewesen.

Irgendwann war es aber doch geschafft. Noch schnell ein paar Unterschriften hingekritzelt, während Pit die Gerätschaften abbaute, dann durfte ich mich mit simulierten Bauchschmerzen verabschieden. Als wir im Auto saßen, meinte Pit: „Heute hast du rumgestanden wie ein Roboter. Hast du dir in die Hose geschissen?“

Die Serie

In der Serie „Sommergeschichten“ veröffentlichen Autoren aus der Region ihre Kurzgeschichten und Erzählungen für die Marktplatz-Leser – für ein kleines Lesevergnügen im Sommer.

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