Ludwigshafen Cooles Schwarz und bunte Kleckse

Gewohnt düster: Marc Oliver Everett und seine Band Eels.
Gewohnt düster: Marc Oliver Everett und seine Band Eels.

Der dritte Tag beim Maifeld Derby brachte Indie-Raritäten, die man in so geballter Form andernorts kaum findet. Von coolen Slackern bis zu Frauenpower und Newcomern abseits der Hauptbühnen durften die Besucher besondere Konzertmomente erleben. Der Abschluss gehört dann den großen Namen, und mit Marc Oliver Everett und seiner Band Eels war ein Wunschkünstler der Veranstalter erstmals beim Festival. Die Bilanz fiel positiv aus, mit fast 15.000 Besuchern an den drei Tagen war die Besucherresonanz gleichbleibend hoch.

Waren die Vortage weiblich eher unterbesetzt und speziell die Headliner eine reine Männerdomäne, so bewies am Sonntag das weibliche Geschlecht, wieviel Durchschlagskraft in ihm steckt. Das demonstrierten Schlagzeugerin Leah Shapiro von Black Rebel Motorcycle Club, die wild-ungezähmten Alisson Mosshart vom Duo The Kills und die herrlich experimentierfreudige australische Singer- und Songwriterin Kat Frankie. Die Wahlberlinerin Frankie setzte bereits in ihrem knallroten Bühnenoutfit einen visuellen Akzent im Palastzelt. Zufall oder wohlwissend, dass die dominierende Farbe in Sachen Kleiderwahl bei nicht wenigen ihrer Musiker-Kollegen an diesem Tage auf Schwarz fallen würde? Den gefühlvollen Songwriterpop nie aus den Augen verlierend, spielte sie mit ihrer kraftvollen facettenreichen Stimme. In ihrem Titel „Back to Life“ aus dem aktuellen Album „Bad Behavior“ legte sie diese mit elektronischer Hilfe tiefer und erinnerte so an den britischen Pop-Meister James Blake. Eine nette Spielerei, mit der kurzerhand Gendergrenzen gesprengt werden. Überhaupt ist ihre Musik hörbar elektronischer geworden, einen Tick mehr Mainstream, aber immer noch herrlicher Indie mit Wehmut, Drama und leidenschaftlichem Gesang. Ganz in Lila wagte sich Gus Dapperton am frühen Nachmittag auf die Fackelbühne. Mit weißrandiger Brille, geschorener Glatze und lila Samtflatterhosen verkörperte er eine Kunstfigur zwischen Nerd und Hare Krishna-Type. Ungläubige Blicke wichen schnell einer faszinierten Begeisterung für das unglaublich fesselnde Klangbild des US-Amerikaners aus Warwick, New York. Dapperton hat sich einer Mischung von Indie-Pop bis Hypnagogic Pop, auch bekannt als Chillwave, verschrieben. Bei diesen Erinnerungsreisen, deren musikalische Referenzen auf die 1980er zurückgehen, fungiert Musik als kulturelles Gedächtnis. Zur Teestunde betrat mit dem Australier Alex Cameron ein weiterer Sonderling die Fackelbühne. Auch an ihm dürften sich die Geister scheiden. Genial oder komplett irre? Das Herz der Indie-Musik-Fans ist weit. Seine Moves entlockten so manches Schmunzeln. Seine Musik dagegen entpuppte sich als mehr als hörbar, wenn er zwischen Synthie-Pop, Electronica und Heartland-Rock changiert und das ganze mit sonorer Stimme und selbstironischen Texten konterkarierte. Herrlich Neunziger waren die Saxofonstrecken von Roy Molloy. Das war es aber auch schon mit den bunten Outfit-Eskapaden, Schwarz übernahm das Zepter. Hier trumpften zwei Bands auf, die in eigenen Kosmen zwischen Slacker- und Rebellentum kreisen. The Kills, das sind „VV“ alias Alison Mosshart und „Hotel“ alias Jamie Hince, haben längst den Insider-Status verlassen. Das amerikanisch-britische Duo und amtierende Traumpaar des Indie-Rock legte im Palastzelt eine atemberaubende Show im oberen Tempo- und Lautstärkenbereich vor. Lasziv, wild und ungezähmt hatte Mosshart die Zügel in der Hand. Es knisterte musikalisch zwischen den beiden, wobei Hince schon mal knieend vor Mosshart seine Riffs riss. Auch wenn man sich dem Treiben der beiden kaum entziehen konnte, ein Ausflug zum Parcours d’Amour und zu Tamino war mehr als lohnend und dank der kurzen Wegstrecken auf dem Gelände schnell gemeistert. Dem jungen Belgier, so wird gemunkelt, könnte eine große Karriere bevorstehen, was er mit seinem hypnotischen Sound zwischen düster-kraftvoller Elegie und ätherischer Leichtigkeit veranschaulichte. Ein Klangerlebnis, das auf dem Changieren seiner Stimme zwischen sonor-erdigem Tonfall und Falsett basiert. Zurück zu den Rebellen. Der Black Rebel Motorcycle Club legte nach und bescherte einen furiosen Ritt wie auf einer Harley. Beim Einsatz der Bluesharp setzte das Kopfkino ein und man meinte die Weiten amerikanischer Highways zu sehen. Leider verhinderte der bedeckte Himmel noch das passende Sundowner-Ambiente. Die Band Eels um Mastermind Mark Oliver Everett stand schon lange auf dem Maifeld Derby-Wunschzettel. Als erste Station der fast komplett ausverkauften Europa-Tournee gewählt zu werden konnte wahrlich kein krönender Abschluss der achten Ausgabe sein. Seine Biografie „Glückstage in der Hölle“ lässt tief blicken in das Menschsein fernab der Glitzerwelt. Lange war es still um den Indie-Kauz, doch mit neuem Album „Deconstruction“ im Gepäck kam er auch ins Palastzelt. Bereits im Titeltrack konnte man eine sublime Schwere erahnen, auch wenn Everett mit Sanftheit im Klangbild oftmals versucht einen Hoffnungsschimmer in all die menschlichen Tragödien zu zeichnen. Kam große Kunst nicht immer aus der Ecke der Leidenden? Veranstalter Timo Kumpf zeigte sich bereits am frühen Sonntagabend entspannt und hochzufrieden. „Wir haben über die drei Tage qualitativ tolle Konzerte gesehen, von großen wie kleinen Bands gleichermaßen, alle waren super. Wir hatten allerdings das erste Mal eine Stagnation bei den Zuschauerzahlen – wenn auch auf hohem Niveau“, fügt er an und schuldet dies dem aktuellen Überangebot.

Wie ein Ritt auf einer Harley: Black Rebel Motorcycle Club.
Wie ein Ritt auf einer Harley: Black Rebel Motorcycle Club.
Waren Headliner am Samstag: Tom Smith und die Editors.
Waren Headliner am Samstag: Tom Smith und die Editors.
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