Ludwigshafen Blaues Blut und traurige Texte

„Fick dich ins Knie, Melancholie“: Gisbert zu Knyphausen.
»Fick dich ins Knie, Melancholie«: Gisbert zu Knyphausen.

Fünf Jahre hat es gedauert, bis Gisbert zu Knyphausen die Welt mit einer neuen Platte beglückt hat. Fünf Jahre, in denen der Sänger und Liedermacher mit dem Tod seines Freundes und Bandkollegen Nils Koppruch fertigwerden musste. Die Fans haben auf den blaublütigen Pop-Poeten gewartet – und ihn bei einem wunderbaren Konzert in der Alten Feuerwache in Mannheim gefeiert.

Er wäre zwar gar nicht schlecht, aber nein: Gisbert zu Knyphausen ist kein Künstlername. Es ist die Kurzfassung von Gisbert Wilhelm Enno Freiherr zu Innhausen und Knyphausen. Der 39-Jährige entstammt einem alten hessischen Adelsgeschlecht. Seine Familie betreibt im Rheingau ein Spitzenweingut, dort veranstaltet er regelmäßig ein Sommerfestival, das „Heimspiel Knyphausen“. Die nächste Ausgabe im Juli 2019 ist schon komplett ausverkauft, obwohl das Line-up noch nicht einmal veröffentlicht worden ist. Zu den Künstlern, die dort schon aufgetreten sind, gehören Element of Crime, Kante, AnnenMayKantereit, Olli Schulz (dessen Bassist er früher mal war) und Kettcar. Irgendwo zwischen all diesen Größen des Indie-Deutschpoprock ist auch Gisbert zu Knyphausen mit seiner Musik einzuordnen. Sein nach ihm selbst benanntes Debütalbum ist 2008 gefeiert worden, der Nachfolger „Hurra! Hurra! So nicht.“ schaffte es zwei Jahre später bis auf den zwölften Platz der deutschen Charts. Danach arbeitete er, der selbst mehr nach Hamburg als nach Hessen klingt, mit dem begnadeten Hamburger Sänger und Songschreiber Nils Koppruch zusammen, dem einstigen Frontmann von Fink. Wenige Wochen, nachdem sie im Spätsommer 2012 als Band Kid Kopphausen das Album „I“ veröffentlicht hatten, starb Koppruch, und Gisbert zu Knyphausen verfiel, wie er in mehreren Interviews erzählt hat, in eine „Schockstarre“. Ernst und traurig waren die meisten seiner Songs vorher schon gewesen. Jetzt ist er also wieder da. Und beginnt den Abend in der Alten Feuerwache, in die sehr viele und zum Großteil erstaunlich junge Leute gekommen sind, mit positiver Energie. „Niemand“ ist auch das Eröffnungsstück seines im Oktober 2017 erschienenen Albums „Das Licht dieser Welt“, und er singt, nein, schreit darin: „Ich sag’ ja, ich sag’ ja, ich sag’ ja, ich sag’ jaja, ich will!“ Fast zwei Stunden lang spielt er fast die komplette Platte und dazu noch einige alte Songs, zwei sind aus der Kid-Kopphausen-Zeit, „Hier bin ich“ und „Das Leichteste der Welt“. Gisbert zu Knyphausen spricht so gut wie gar nicht mit dem Publikum. Es scheint ihn sogar eher zu irritieren. Als er einmal zu lange umherschaut, hat er prompt einen Texthänger. Folgerichtig hält er die meiste Zeit über die Augen geschlossen, eins mit sich und seiner Akustik-Gitarre und seinen Songs, die von einer grandiosen Band begleitet werden. Einer der fünf Musiker ist Jean-Michel Tourette, was diesmal wirklich ein Künstlername ist. Der Gitarrist und Keyboarder von Wir sind Helden spielt bei Knyphausen nicht nur tolle Posaunensoli, er hat auch das Album „Das Licht dieser Welt“ produziert. Viele wunderschöne Lieder finden sich darauf, in denen aus Alltagsbeobachtungen große Poesie wird. Wie in der Liebeserklärung „Dich zu lieben ist einfach“ oder im traurigen Stück „Sonnige Grüße aus Khao Lak, Thailand“, einem Song über Einsamkeit und Weltschmerz. „Jetzt kommt ein richtiges Winterlied“, ist einer der wenigen Sätze, den der sonst schweigsam die Gitarre stimmende Gisbert zu Knyphausen zu seinem Mannheimer Publikum sagt. Was ziemlich witzig ist, denn ein Sommerhit findet sich auch nach längerem Suchen nun wirklich nicht in seinem Repertoire. Es ist ein sehr warmherziger, aber auch schwermütiger Abend. Schon hunderte Male und auch diesmal als Zugabe hat Gisbert zu Knyphausen diese Zeile gesungen: „Fick dich ins Knie, Melancholie.“ Aber nein, das tut sie einfach nicht. Zum Glück.

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