Ludwigshafen Besinnung statt Tumult

Erinnerungen an den Rebellen Schiller: Mannheims Oberbürgermeister Peter Kurz (rechts) überreicht Uwe Timm die Auszeichnung.
Erinnerungen an den Rebellen Schiller: Mannheims Oberbürgermeister Peter Kurz (rechts) überreicht Uwe Timm die Auszeichnung.

Uwe Timm ist gestern im Mannheimer Nationaltheater mit dem Schillerpreis ausgezeichnet worden. Der mit 10.000 Euro dotierte Preis ist die bedeutendste Ehrung, die die Stadt zu vergeben hat. Seit 1954, als das Nationaltheater 175 Jahre wurde, zeichnet Mannheim mit dem Preis alle zwei Jahre Personen aus, die sich um die kulturelle Entwicklung besonders verdient gemacht haben.

Wer ätzende Kritik am real existierenden Kapitalismus erwartet hatte, wie sie Uwe Timm bei der Verleihung der Carl-Zuckmayer-Medaille vor sechs Jahren in Mainz sich zu üben nicht scheute, wer also eine solche Levitenlesung auch jetzt in Mannheim aus dem Munde des Preisträgers erwartet hatte, wartete vergeblich. Die Feierstunde bewegte sich in Bahnen, wie sie die Etikette für eine solche Preisverleihung vorschreibt. Sie riss das Publikum daher auch nicht zu Tumulten hin, zu „rollenden Augen“ und „geballten Fäusten“, zu Chaos, „aus dessen Nebeln eine neue Schöpfung“ hervorbrach, wie dies von der Uraufführung von Schillers „Räubern“ am 13. Januar 1782 im Nationaltheater überliefert ist. Die besinnliche Stimmung am 15. April 2018 im Nationaltheater unterbrach allenfalls bisweilen ein amüsiertes Auflachen, wenn vereinzelte Zuhörer im nahezu voll besetzten Schauspielhaus auf die gewagten Vergleiche reagierten, die der Romanautor und Dramatiker Moritz Rinke in seiner launigen Lobrede zwischen dem Preisträger und dem Namensgeber des Preises zog: „Schiller trifft sich mit Goethe, Timm mit Günter Grass. Okay, der Vergleich hinkt.“ Und die Dankesrede des Preisträgers selbst? Sie blickte eher nüchtern historisierend, manchmal mit einem leicht nostalgischen Unterton auf vergangene Zeiten zurück, auf die vorrevolutionäre Situation 1782 und die Studentenrevolte 1968, als dass sie sich in Gegenwartsschelte ergangen wäre. Wer wollte, konnte jedoch aus der Beschwörung einer fernen Vergangenheit Zeitkritik heraushören. Der 78-jährige Uwe Timm, vor allem durch Erzählungen und Romane über die jüngere deutsche Geschichte wie „Die Entdeckung der Currywurst“, „Rot“, „Am Beispiel meines Bruders“ und zuletzt „Ikarien“ bekannt, hatte vor seiner Reise von München nach Mannheim eigens sein zerfleddertes Reclam-Heftchen der „Räuber“ hervorgeholt. Vor bald 60 Jahren, erinnerte er sich, war nämlich am Braunschweig-Kolleg, wo der 21-Jährige das Abitur nachholte, eine Aufführung von Schillers Jugendstück geplant. Sie kam dann zwar nicht zustande, aber mit seinen damaligen Anmerkungen und Notizen stimmt der Schriftsteller, der einmal Dramatiker werden wollte, immer noch überein. Damals wie heute sieht er in Schiller nicht den Autor von Kalendersprüchen und Sprichwörtern, den „Inbegriff lustfeindlicher Behandlung der Poesie“, den der Schulbetrieb aus dem Spieltheoretiker gemacht hat, sondern den Rebellen. „Wie aus Notwehr ist dieses Stück geschrieben“, meinte er über das erste Drama des unter Zensur und Fürstenherrschaft leidenden Dichters. Mit ihrer radikalen Infragestellung der Moral läsen sich „Die Räuber“ wie ein Vorgriff auf die Moderne. Und vielleicht, meinte Timm, lasse sich ja sogar Schillers gesamtes Werk als Versuch lesen, der zynischen Bestimmung des Nihilismus, wie sie der Erstling vornahm, einen Sinn entgegenzusetzen. Dieser Sinn, so der Redner, sei in Eigenverantwortung und Verantwortung gegenüber anderen zu suchen. Der Chronist der 68er trat so in seiner Rede der aus der Studentenbewegung hervorgegangenen sogenannten Rote Armee Fraktion in ihrer Menschenverachtung entschieden entgegen. Er brach, ohne dies ausdrücklich zu sagen, eine Lanze für die heute allenthalben gefährdete Demokratie. „Dient einem König, der für die Rechte der Menschen streitet“, zitierte er Schiller und fügte hinzu: „Ein solcher König wäre die Demokratie.“ Als Schillerpreisträger steht Uwe Timm in einer Reihe unter anderen mit Friedrich Dürrenmatt, Peter Handke, Dieter Hildebrandt, Alfred Grosser, Frank Castorf und Silvia Bovenschen. Vor zwei Jahren hat den Preis der Literaturwissenschaftler Klaus Theweleit bekommen.

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