Ludwigshafen Beängstigend echt

Wie Slapstick-Komiker aus der Stummfilmzeit: Vier Schauspieler spielen um die 20 Figuren.
Wie Slapstick-Komiker aus der Stummfilmzeit: Vier Schauspieler spielen um die 20 Figuren.

Wie in einem riesigen Puppentheater oder wie in einem uralten Kino, beim Betrachten eines Stummfilms, konnten sich an diesem Wochenende die Besucher des Theaters im Pfalzbau fühlen. Die Berliner Maskentheatergruppe Familie Flöz gab in Ludwigshafen gleich drei Vorstellungen ihrer herrlich schauerlichen Komödie „Hotel Paradiso“.

Sie sprechen kein Wort. Nur Musik und Geräusche sind zu hören, wenn sich etwa Lilian Harvey oder Zarah Leander auf dem Plattenteller drehen, wenn wütend der Hund kläfft, in der Küche die Knochensäge kreischt oder es aus der Ferne donnert. Und sie tragen Masken. Unbewegliche, karikatureske Gesichter mit überlangen Nasen und eng stehenden Knopfaugen. Fast 20 verschiedene treten im Verlauf des 90-minütigen Stücks in Erscheinung; dass insgesamt nur vier Schauspieler unter ihnen stecken, fällt kaum auf. Erst ganz am Ende, beim begeisterten Schlussapplaus, nehmen die Akteure, drei Männer und eine Frau, sie ab. Das Berliner Kollektiv, das ursprünglich aus einem Studiengang der Essener Folkwang-Hochschule hervorging, macht großes Theater mit Mitteln, die gleichsam „vor der Sprache“ liegen. Die Erkenntnis dahinter: Konflikte, der Ursprung aller Dramatik, manifestieren sich zuerst im Leib. Das Wesen der Produktionen bildet daher das ausgefeilte Spiel mit den Ausdrucksmöglichkeiten des Körpers, in Pantomime, Tanz, Artistik und Clownerie. Erst dann kommen die Masken ins Spiel, mit denen die Darsteller eine manchmal schon fast beängstigende Symbiose eingehen. Alle Stücke der preisgekrönten Truppe entstehen in einem kollektiven kreativen Prozess, bei dem die Schauspieler gleichermaßen die Autoren ihrer Figuren sind. In Improvisationen umkreisen sie zusammen mit einem Regisseur (hier: Michael Vogel) ihr selbstgewähltes Thema und sammeln dramatisches Material, bevor sie die starren und doch so ausdrucksstarken Larven über die Gesichter stülpen. „Hotel Paradiso“, in der vorliegenden Fassung 2008 uraufgeführt, widmet sich einem klassischen Bühnenstoff: der zufälligen Begegnung unverhofft zusammentreffender Gäste an einem entlegenen Ort. Im Hintergrund leuchten vier verschneite Berggipfel, der Schauplatz des Geschehens ist das in die Jahre gekommene Hotel. Früher machte es seinem Namen und den vier Sternen, die über der Eingangstür prangen, wohl alle Ehre. Doch der Patriarch ist verstorben. Sein Bildnis hängt über dem Lift und nur die gebeugte Seniorchefin hält den kleinen Familienbetrieb noch mühsam zusammen. Vor allem mit ihrem Gehstock verschafft sie sich schlagkräftig Respekt. Der Sohn träumt an der Rezeption beseelt von der großen Liebe, während er sich mit seiner Schwester einen erbitterten Kampf um die Nachfolge der Leitung des Hotels liefert. Das Dienstmädchen bestiehlt die Gäste und der Koch zersägt nicht nur Schweinehälften. Wie Slapstick-Komiker aus der Stummfilmzeit kämpfen sie alle mit den Tücken der Objekte, der Drehtür etwa, die in die Lobby führt, oder einer einfachen Rolle Klebeband. Der tote Alteigner, der des Nachts mit dem Lift in die Lobby fährt und andere mysteriöse Geschehnisse rund um eine Wasserpumpe sorgen für weitere Verunsicherung. Irgendwann ist der kleine Page wahrhaftig einen Kopf kürzer und die Schürze des Kochs blutverschmiert. Der Niedergang des Hotels ist besiegelt, denn Leichen – es bleibt nicht nur bei einer – sind in jedem Fall schlecht fürs Geschäft. Tatsächlich geraten alle, Personal und Gäste, weiter und weiter in einen Strudel bitterböser Ereignisse. Rabenschwarzer Humor britischer Schule in einer poetischen, etwas nostalgischen und vollends überzeugenden Inszenierung.

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