Ludwigshafen Aufwühlen mächtiger Gefühle

Aberwitzige Stellungen: die drei von den Tanzwerken.
Aberwitzige Stellungen: die drei von den Tanzwerken.

Ein Tanztheater mit dem Titel „Der Riss“ stellt man sich nicht harmonisch fließend vor, eher gewalttätig und aggressiv. Was dann beim Gastspiel der Tanzwerke Vanek Preuß aus Bonn im Mannheimer Eintanzhaus zu erleben war, ist etwas so konsequent Anderes, dass es jede Vorstellung sprengt.

Es wird zwar allgemein und, gefühlt zunehmend, auf dem Boden liegend getanzt, aber in „Der Riss“ ist es nahezu ausschließlich so. Es beginnt mit drei Körpern, die mit schwarzen Unterhosen bekleidet in einer Reihe dicht beieinander auf dem Rücken liegen, ohne sich zu berühren. Durch Anheben des Rumpfes und Zurückneigen des Kopfes biegen sie sich in aberwitzige Stellungen, bei denen der Zuschauer den Eindruck hat, drei auf den Kopf gestellte Gesichter sähen ihn an. Die ausgestreckten Körper rücken auseinander und wieder zusammen, meist langsam schiebend, aber auch schnell ab- und sogar übereinander rollend. Die Bewegungen der drei Männer sind ähnlich, aber nicht gleich. Dazu ertönt eine physisch erregende Musik, die meist elektronisch dissonant, zwischendurch auch romantisch ist. Die Körper bewegen sich in die Tiefe des Raumes hinein. Einer – Dwaine Holliday, der jüngste und akrobatischste, – sondert sich ab oder wird von den beiden anderen abgesondert. Er richtet sich in sitzende Stellung auf, verhakelt ein Bein und einen Arm um seinen Hals, so dass er aussieht wie ein indischer Fakir oder wie ein Kriegsversehrter. Er arbeitet sich auf dem freien Knie und Ellenbogen auf die Zuschauer zu. Die beiden anderen kleben weiterhin am Boden fest; gelassen der eine (Guido Preuß), in unkontrolliert anmutenden Zuckungen der andere (Karel Vanek). Das ist quälend anzusehen und dabei so eindrücklich, dass man es nicht so bald wieder vergisst. In dem ausgeklügelten Lichtdesign von Markus Becker wirkt diese Art von ebenso abstrakter wie körperbetonter Bewegung beeindruckend skulptural. Die Scheinwerfer sind auf einem kniehohen Gestänge platziert, das die quadratische Tanzfläche auf drei Seiten umschließt. Das Licht ist orange getönt, entfaltet jedoch keinerlei Wärme. Als Seitenlicht modelliert es die Körper auf eine befremdliche, unheimliche Weise. Einmal stehen die drei Männer mit dem Rücken zum Publikum. Das Licht zeichnet tiefe Schattenmulden in die Muskulatur, die unwirklich auf- und abzuschwellen scheint. Die Scheinwerfer an den Seiten erlöschen, die im Hintergrund flammen auf und in die Augen der Zuschauer. Die drei Körper sind jetzt schwarze Silhouetten, die sich schneller und dramatischer bewegen als in den Sequenzen am Boden. Gibt es eine sporadische Interaktion? Im schmerzhaft blendenden Licht erkennt man es nicht. Als es wieder vom Seitenlicht abgelöst wird, stehen die drei isoliert wie zuvor und klatschen sich auf die Brust. Erst kurz vor dem Ende tritt überraschend und wie erlösend ein Novum ein. Dwaine Holliday tanzt in schönen Bögen, wie man es von einem Tänzer erwartet. Die Tanzwerke Vanek Preuß arbeiten oft kopfbetont konzeptuell. „Der Riss“ rührt auch an mächtige unbewusste Gefühle. Welchen Riss sie meinen, der laut Programmheft in der Gesellschaft durch fehlende Empathie entsteht, und wie er sich auf den Körper auswirkt, ist letztendlich unerheblich. Das Stück fesselt, rührt an, regt auf.

x