Ludwigshafen Atomkraftwerk Ludwigshafen oder Der Reaktor, den es nie gab

Nach den nicht realisierten BASF-Plänen war das Thema Atomkraftwerk für Ludwigshafen vom Tisch. Hier auf dem Foto: der Blick in
Nach den nicht realisierten BASF-Plänen war das Thema Atomkraftwerk für Ludwigshafen vom Tisch. Hier auf dem Foto: der Blick in einen geöffneten Reaktordruckbehälter im Atomkraftwerk Isar 2 in Bayern.

Lu ungebaut (1): Die BASF versuchte ab 1966, ihre interne Energieversorgung mit Kernkraft zu sichern. Die politische Unterstützung war groß.

Die Vorgeschichte ist schnell erzählt. An der Stelle des 1965 geschlossenen Karbidwerks wollte die BASF als erstes deutsches Unternehmen ein eigenes Kernkraftwerk errichten. Der vorgesehene Standort lag im Werksteil Mitte an Rhein-Kilometer 428,5 – also etwa auf Höhe der Neckarmündung.

Ziel: Unabhängigkeit vom Öl

Dem energieintensiven Chemiekonzern ging es um die Sicherung seines Verbrauchs von damals fünf Milliarden Kilowattstunden Strom und 14 Millionen Tonnen Dampf im Jahr. Das Unternehmen wollte unabhängig vom Öl und von der Organisation erdölexportierender Länder (OPEC) werden und durch die eigene Produktion Energiekosten sparen. 1966 ging das Unternehmen erstmals mit diesen Plänen an die Öffentlichkeit. Stadt und Land signalisierten Zustimmung.

Plan: Zweimal 600 Megawatt

Geplant war ein Atomkraftwerk (AKW) mit zwei Druckwasser-Reaktoren und zwei 60 Meter hohen Kühltürmen. Die beiden Reaktorkugeln mit einer Leistung von jeweils 600 Megawatt sollten einen Durchmesser von je 56 Metern haben. Vorgesehen waren 137 Brennelemente mit je 236 Brennstäben, das Urangewicht hätte etwa 64 Tonnen betragen. Kostenpunkt: 700 Millionen Mark.

Stadtrat sagt 1970 "ja"

Anfang 1969 leitete die „Anilin“ das Genehmigungsverfahren zur Errichtung „von ortsfesten Anlagen zur Errichtung oder Spaltung von Kernbrennstoffen“, wie das AKW im Behördendeutsch hieß, ein. Man rechnete mit einem einjährigen Genehmigungsprozess und vier Jahren Bauzeit. Der Stadtrat billigte am 31. Januar 1970 einhellig das Vorhaben. Das war die erste offizielle Äußerung der Stadt zum Projekt, wie die RHEINPFALZ am 22. Januar 1970 feststellte.

Atomkraft mitten in einer Chemiefabrik

Im Zuge des Genehmigungsprozesses wurden die Auflagen und Sicherheitsbestimmungen mehrfach verschärft. Im August 1970 wurde das Genehmigungsverfahren sogar für zwei Jahre ausgesetzt, um grundsätzliche Sicherheitsfragen zu klären. Der geplante Reaktor war wegen seiner Lage inmitten eines dicht besiedelten Ballungsgebiets und einer chemischen Fabrik ein Novum und sorgte weltweit für Aufsehen.

Als das Wort "Restrisiko" erfunden wurde

Viele Experten hielten die Pläne wegen der dichten Besiedelung für äußerst riskant. Der Direktor des TÜV Rheinland und Kernphysiker Professor Karl-Heinz Lindackers warnte, dass bei einer Reaktorkatastrophe mit bis zu 100.000 Toten im Großraum Ludwigshafen-Mannheim zu rechnen sei, hinzu kämen Gesundheitsstörungen bei über einer Million Bewohnern. Man war sich einig, dass es keine absolute Garantie geben könne, dass nicht doch radioaktive Stoffe aus dem Reaktorkern freiwerden könnten. Der Begriff des „Restrisikos“ entstand damals, erstmals genutzt von Bundeswissenschaftsminister Hans Leussink (parteilos) 1970.

Politik begeistert, Bürger kritisch

Begleitete die Politik – angefangen vom Stadtrat bis hin zu Bundeskanzler Willy Brandt – das Projekt während der Genehmigungsphase mit großer Unterstützung, so sah die Bevölkerung im Rhein-Neckar-Raum das geplante AKW mit kritischeren Augen. Bürgerinitiativen, Aktionsgemeinschaften, Arbeitsgruppen und Interessengemeinschaften formierten sich, luden zu Infoveranstaltungen und demonstrierten: „BASF-Kernkraftwerk: NEIN!“.

1976: Neuer Standort Frankenthal

Im Frühjahr 1976 gab die BASF überraschend den geplanten citynahen Standort auf. Verschärfte gesetzliche Rahmenbedingungen forderten nun einen Mindestabstand von 500 Metern zum Rhein. Schnell wurde ein neuer Standort gefunden: nördlich der BASF-Kläranlage, und damit auf Frankenthaler Gemarkung. Der Frankenthaler Oberbürgermeister Günter Kahlberg kommentierte lapidar: „Der Bau eines BASF-Reaktors auf der Gemarkung der Stadt ruft mit Sicherheit eine Reihe von Auswirkungen hervor, in planerischer und wirtschaftlicher Art.“ Man rechnete nun mit einer Bauzeit von mindestens fünf Jahren und Kosten von 1,2 Milliarden Mark.

Aufgabe wegen zu hoher Kosten

Die „Anilin“ sah die wirtschaftliche Rentabilität nicht mehr gegeben und verbuchte diesen Ausflug in die Welt der Atome mit 36 Millionen Mark sogenannter „sunk costs“. Die Politiker zeigten sich erleichtert – obwohl sie das Projekt sieben Jahre lang unterstützt und befürwortet hatten.

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