Ludwigshafen 600 Tänzer bewerben sich beim Mannheimer Nationaltheater

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Helga Kristín Ingólfsdóttir will ihre Profi-Karriere beenden. Hier probt sie mit Choreograph Stephan Thoss eine Szene aus »Nightbook«, die auch die Bewerberinnen am Tag des Vortanzens einüben müssen.

Hinter den Kulissen: Die Konkurrenz ist überwältigend: Auf vier freie Stellen bei der Kompanie von Stephan Thoss am Mannheimer Nationaltheater haben sich 600 Kandidaten beworben. Wer zum Vortanzen eingeladen wird, muss an diesem Tag alles geben. Aber Tanzen bis zum Umfallen reicht dem Choreographen nicht. Wer schafft es über die Runden und wird Ensemble-Mitglied in dieser Saison?

„Ich fühle mich, als wäre ich in den Krieg gezogen“, sagt der blasse junge Mann, der erschossen auf dem Boden liegt. Blonde Haarsträhnen kleben an seiner Stirn, nasse Flecken sind auf sein Shirt gekrochen. Robert Kay* sackt nach vorne, um seine Beine zu dehnen. „Am Ende haben wir uns nur noch durchgekämpft.“ Keiner hält sich mehr aufrecht im Tanzhaus Käfertal. Sie kauern, knien und massieren sich. Auf dem Tresen im Foyer, über den sonst Cola geschoben wird, stapeln sich die Nummernschilder. Schweißgeruch würzt die Luft. Es ist knapp 18 Uhr. Sechs Stunden lang haben die Tänzer und Tänzerinnen den Raum mit ihren Beinen zerschnitten, ihn mit den Armen durchquirlt und sich hinknallen lassen. „Das gibt blaue Flecken. Aber so ist der Job.“ Der 20-Jährige entblößt seine Knie und lacht. Ob er diese Schlacht nun gewonnen oder verloren hat? Es ist nicht seine erste. 

Über Nacht durchgefahren und direkt ins Tanzhaus

Die Ensemble-Mitglieder an den Stadt- und Staatstheatern erhalten nur Jahresverträge. Im Herbst können die Tänzer und die Kompanieleitung ankündigen, dass sie die Zusammenarbeit zur nächsten Saison beenden wollen. Das große Durchtauschen der Plätze beginnt. Vielleicht passte der Stil des Choreographen doch nicht zum Körper. Vielleicht kam man bei interessanten Rollen nicht zum Zuge. Vielleicht hat man einen Job beim Ensemble seiner Träume ergattert. Oder die Direktion wechselt, und der Nachfolger fährt eine andere Linie – wie in der bisherigen Kompanie des Briten. Seit einem Jahr beobachtet er die Arbeit von Stephan Thoss in Mannheim. Die Energie, der Stilmix reizt ihn, er möchte zeitgenössischer tanzen. Aber er ist nicht der einzige. Er ist Nummer 137. Über 600 haben sich auf die Stellen für vier Männer und eine Frau am Mannheimer Nationaltheater beworben, die zur kommenden Saison frei werden. Zum Vortanzen Ende Januar wurden rund 150 eingeladen. Gerade rechtzeitig erreicht Alberto Terribile den Probenraum: Der Venezianer ist die Nacht in seinem Auto von St. Gallen bis Mannheim durchgefahren, um kein Hotelzimmer bezahlen zu müssen. „Als Tänzer versucht man immer, Geld zu sparen, manchmal an der Grenze zum Ungesunden“, sagt der 24-Jährige. In der internationalen Szene sind die Wege zu den Kompanien weit. Oft versucht man, bei Kollegen auf der Couch zu schlafen. Alberto Terribile hat sich kurz umgezogen, das Karohemd um die Hüfte geschlungen und taucht in der Menge unter.

Die Nummern für die Bewerber liegen bereit. Während des Vortanzens ist Fotografieren nicht erlaubt.
Die Nummern für die Bewerber liegen bereit. Während des Vortanzens ist Fotografieren nicht erlaubt.
Alberto Terribile (fünfter von rechts, stehend) mit seinem neuen Ensemble.
Alberto Terribile (fünfter von rechts, stehend) mit seinem neuen Ensemble.
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