Speyer „30 Jahre sind genug“

Um 18.30 Uhr setzt sich am Sonntag, 11. November, auf dem Fischmarkt der Speyerer Martinszug in Bewegung. An der Spitze als berittener Darsteller des Heiligen: Michael Kuhnlein. Seine 30. Teilnahme in dieser Hauptrolle soll seine letzte sein. Ellen Korelus-Bruder hat den Juristen interviewt.

Herr Kuhnlein, ist ein Leben ohne St. Martin überhaupt möglich?

Ich werde ja weiterhin dem Verein der Martinsfreunde angehören und meine Hilfe anbieten, wenn sie gebraucht wird. Glücklicherweise hat der Verein ein junges, engagiertes Team, so dass ich mir über den Fortbestand dieser wunderbaren Tradition keine Sorgen machen muss. An wen geben Sie die Zügel weiter? Mein Nachfolger ist eine Nachfolgerin. „St. Martina“ Selina Joos aus Waldsee wird mich in diesem Jahr bereits als Adjutantin hoch zu Ross begleiten. Sie stammt aus einer Pferdefamilie. Ich werde übrigens diesmal drei weitere Begleitreiter haben, also sind fünf Pferde am Start. Wie kamen Sie zum Ehrenamt mit Pferd und Mantel? Bereits vor mir rekrutierten sich die St. Martine aus Mitgliedern des Reitclubs Speyer. Als die Martinsfreunde mich fragten, übernahm ich das Amt. Dass daraus 30 Jahre werden würden, ahnte ich damals nicht. Wie viele Pferde haben Sie zum Martinsfeuer geführt? Die ersten 15 Jahre ritt ich mein eigenes Pferd Vasco. Dann stellte mir mein Freund und jahrelanger Begleitreiter Nikolaus Bayer sein Pferd Zigan zur Verfügung. Als Zigan letztes Jahr ausgerechnet einen Tag vor St. Martin drei Zähne gezogen werden mussten, stellten mir Reiterfreunde vom Hahnenbacher Hof in Gräfenhausen spontan Le Soleil zur Verfügung. „Die Sonne“ wird auch diesmal das Martinspferd sein. Nimmt am Sonntag auch Le Soleil Abschied vom Martinszug? Die neue St. Martina hat ihr eigenes Pferd. Aber die Gräfenhausener Reiterfreunde haben so viel Spaß an unserem Martinsspiel, dass ich mir gut vorstellen kann, dass Le Soleil im nächsten Jahr wieder dabei ist. Wie gewöhnen sich Pferde an die besonderen Bedingungen mit Lärm, Laternen, Musik und Feuer? Alle verwendeten Pferde werden artgerecht gehalten mit viel Bewegung in der freien Natur, bei Ausritten und auch bei Teilnahmen an Veranstaltungen. Deshalb sind sie gelassen und zuverlässig, aber natürlich auch ein bisschen aufgeregt. Da ist dann der Reiter gefragt, dem Pferd Vertrauen zu vermitteln. Sind die Rösser unter Ihnen immer ruhig geblieben? All die Jahre ist es gelungen, keine gefährlichen Situationen entstehen zu lassen. Einmal ist ein Kind mit brennender Laterne unter Vasco durchgelaufen. Er ist zur Salzsäule erstarrt, um das Kind nicht zu verletzen. Ein anderes Mal ist Vasco auf dem nassen Rasen am Heidentürmchen ausgerutscht und wir sind zusammen umgefallen. Vasco ist unbeschadet wieder aufgestanden. St. Martin hatte noch Wochen danach ein in allen Farben des Regenbogen schillerndes Hämatom am Hinterteil. Mein Appell an Eltern und Kinder: Pferde sind Lebewesen, die sich erschrecken können. Deshalb etwas Abstand halten, nicht auf sie zurennen, mit Laternen wedeln oder mit der Kamera in die Augen blitzen. Ist St. Martin heute noch so zeitgemäß wie 1988? Wenn man sieht, was sich in der Welt gerade so abspielt, ist die Botschaft vom Helfen und Teilen heute aktueller denn je! Mit welchen Gefühlen verlassen Sie die Steigbügel am Sonntag? 30 Jahre sind genug. Wenn der Sprecher zu Beginn des Spiels den jungen Gardeoffizier Martinus ankündigte, war ich von Jahr zu Jahr froher, dass das Spiel bei Dunkelheit stattfindet. Aber ein bisschen Wehmut wird wohl schon aufkommen. Wo werden Sie den 11. November 2019 verbringen? Selbstverständlich in Speyer beim Martinsspiel. Ich werde meiner Nachfolgerin zuschauen und St. Martin von unten genießen. Zur Person Michael Kuhnlein (65), Vater von drei Kindern und Großvater eines zwölfjährigen Enkelkinds. Er war 37 Jahre lang Rechtsanwalt in Speyer und befindet sich jetzt beruflich im Ruhestand. 2017 ist er von Speyer in das 500-Seelen-Dorf Oberschlettenbach in der Südpfalz umgezogen – „zwecks Entschleunigung“.

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