Landau Täglich 1200 Kleider genäht

„Es war ein politischer Vorgang“ sagt Ludwig Müller, dass er und seine Frau Margarete zusammenkamen. Vor 70 Jahren, am 20. Geburtstag der Braut, haben die Arbeitertochter Gretel Glaser aus Wien und der gelernte Bäcker, Verlagskaufmann und spätere Unternehmer Ludwig Müller aus Rhodt geheiratet. Heute feiern sie im Diakoniezentrum Bethesda das seltene Fest der Gnadenhochzeit.

1938 hat Deutschland Österreich annektiert. Der Reichsstatthalter von Wien, der spätere Pfälzer Gauleiter Josef Bürckel aus Lingenfeld, schickte Arbeiterkinder zur Ferienerholung in die Pfalz. In Rhodt betreute Ludwig Müller als 16-Jähriger die Feriengäste. Eines schönen Tages hat er sich auf den Weg gemacht, um mit dem Fahrrad das Nachbarland zu erkunden. Als er in der Koloniestraße 13 bei der Familie von Gretel Glaser klingelte, begann eine Romanze, die bis heute anhält. An Gretels 20. Geburtstag haben die beiden in Rhodt geheiratet, das weiße Kleid war geliehen. Begleitet von ihrer Mutter kam die Braut mit dem Zug aus Wien, der Bräutigam hatte an der Front in Rumänien Heiratsurlaub beantragt. „Die Hochzeit war sehr bescheiden“ erinnert sich Ludwig Müller, nach zwei Tagen kehrte Margarete Müller zurück nach Wien, der Ehemann musste wieder an die Front. „Das hat man damals so gemacht, damit die Frau versorgt ist, wenn was passiert“. Ursprünglich hatte er Bäcker gelernt. Als er wegen einer Berufskrankheit aufhören musste, hat er bei der nationalsozialistischen NSZ-Rheinfront in Neustadt Verlagskaufmann gelernt. „Dann kam der Krieg und ich wollte fürs Vaterland kämpfen“. Die Familie war nicht begeistert, hatten sie doch bei dem schlimmen Unglück 1937, bei dem ein Unwetter zehn Schulmädchen aus Rhodt im Edesheimer Schwimmbad in den Tod riss, bereits zwei Töchter verloren. „Du kommst noch früh genug zu spät“, habe seine Mutter geweissagt. „Eines Morgens bin ich einfach nicht in den Betrieb, sondern an den Westwall“, weiß Ludwig Müller noch. 1942 wurde er zum Arbeitsdienst nach Frankreich einberufen, am 8. Mai 1945 kam er in der Tschechei in russische Gefangenschaft, 1946 ist er über Österreich wieder nach Deutschland gekommen, 1947 hat Ludwig Müller seine Gretel aus Österreich geholt. Am 1. Januar 1950 haben die beiden angefangen, Hemden, Blusen und Schlafanzüge zu produzieren und in Queichheim die erste Wäschefabrik eröffnet, der weitere Standorte in Landau folgten. „Später haben wir dann in Tunesien produzieren lassen und auch vier Jahre dort gelebt, das war eine herrliche Zeit“, erinnert sich Ludwig Müller. Ehefrau Gretel war immer an seiner Seite und hat den Transport organisiert. „460 Arbeiterinnen haben jeden Tag 1200 Damenkleider genäht“ erinnert er sich. „Ich bin ein Wassermann“, sagt der passionierte Angler und ehemalige Besitzer eines Wohnschiffes in Germersheim, sowie Gründungsvorstand und heute Ehrenpräsident im Motoryachtclub Germersheim. Sein Engagement als Amateurfunker hat ihm eine Ehrenbürgerschaft im amerikanischen Staat Florida eingebracht. Seit 1959 ist er in der Landauer Ortsgruppe des Deutschen-Amateur-Radio-Club aktiv. Wegen einer Kriegsverwundung konnten Gretel und Ludwig Müller keine Kinder bekommen, dafür brachte er sich 25 Jahre lang in der Horstring-Grundschule ehrenamtlich ein. Und mit Herzblut malte er Bühnenbilder für die Schulkulturtage in der Landauer Festhalle. In Ermangelung von Verwandten, die für sie sorgen könnten, haben sich Gretel und Ludwig Müller 2010 entschlossen, das eigene Haus in der Boelckestraße zu verkaufen und in eine Wohnung im Bethesda überzusiedeln. „Die Entscheidung war nicht leicht“, blickt Ludwig Müller zurück, aber nun, im Alter von 90 und 92 Jahren, genießt das Paar die Fürsorge des Pflegepersonals. Von dem kleinen Appartement aus kann er noch den Turm auf seiner Funkbude im Fliegerviertel sehen. Von der Bodelschwinghstraße aus dient ihm nun ein kleiner Handfunker als Tor zur Welt: „Mit dem kann ich auf der Kalmit ein Relais öffnen und Funkkameraden bis nach Frankfurt und Offenburg erreichen“, erklärt Ludwig Müller stolz. (srs)

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