750 Jahre Stadtrechte Serie Landauer Leute: Der jüdische Stadtrat Victor Weiss
Victor Weiss wurde am 5. September 1868 in Landau geboren. Gemeinsam mit seiner Frau Lucie Neuschüler aus Kreuznach und seinen Kindern Rudolf und Emmy wohnte der stadtbekannte „Weisse Vikkes“ seit 1900 in der Martin-Luther-Straße 28.
Der erfolgreiche Ledergroßhändler war in den frühen Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts eine geschätzte und anerkannte Landauer Persönlichkeit, die im kulturellen, sozialen und politischen Leben der Stadt eine besondere Rolle einnahm. Von 1909 bis 1933 war er für die Deutsche Demokratische Partei Mitglied des Stadtrates, wobei er immer die meisten Personenstimmen auf sich vereinigen konnte. Noch 1930 wurde er mit über 3800 Stimmen für die Legislaturperiode bis 1935 gewählt.
Er war in allen wichtigen Ausschüssen tätig und muss dort außerordentlich gute Arbeit geleistet haben, denn mehr als einmal wurde er von seinen Ratskollegen geehrt, und es wurde ihm öffentlich Dank ausgesprochen.
Geldspenden verteilt
Bereits während des Ersten Weltkrieges setzte er sich für seine Stadt und ihre Bewohner ein und zeigte ein ungewöhnlich großes soziales Engagement. So errichtete er mit seiner Frau 1915 die „Victor und Lucie Weiss-Stiftung“ mit einem beachtlichen Stiftungsvermögen. „In Anbetracht der allgemeinen Not“ sollten „an hiesige, vom Felde heimgekehrte bedürftige und würdige Krieger oder an deren Familien“ Geldspenden verteilt werden.
Nicht nur der Stadtrat würdigte diesen Einsatz, auch Landauer Soldaten an der Front sandten Dankesbotschaften an die Familie Weiss. Noch zeigte man sich stolz ob solcher Mitbürger. Doch nicht nur Geldmittel stellte die Stiftung bereit, Victor Weiss sorgte auch für Sachleistungen für bedürftige Landauer. So finanzierte er eine „Milchanstalt“ mit mehr als 500 Milchkühen, die die Milchversorgung in der Stadt während des Krieges sicherstellte, und er verteilte Schuhe und Schokolade in Landauer Schulen. Noch Jahre nach dem Krieg ließ das Ehepaar Weiss Weihnachtsgeschenke für bedürftige Landauer Schulkinder und Heizmaterial für „arme Personen“ ausgeben.
Zeppelinlandung organisiert
Auch der örtliche Zweig des Hilfsvereins des Bayerischen Roten Kreuzes profitierte lange vom Engagement des mittlerweile zum Kommerzienrat ernannten Landauers und wies daraufhin, dass sein „Ehrenführer“ sich in „treuer Pflichterfüllung in hervorragender Weise“ verdient gemacht habe. Doch er war nicht nur sozial tätig, er sorgte auch für eine ganz besondere Attraktion in Landau: Im September 1911 landete der erste Zeppelin, die „Schwaben“, auf dem Ebenberg, und Weiss war derjenige, der diese Veranstaltung Monate vorher organisiert und vorangetrieben hatte. Tausende Pfälzer und Landauer erlebten dieses Ereignis nun mit.
Weiss war geradezu das Paradebeispiel eines assimilierten Juden, der sich an die Gewohnheiten und Bräuche seiner nichtjüdischen Umgebung angepasst hatte. Er war Teil eines jüdischen Bildungs- und Wirtschaftsbürgertums, das sich in der Gestaltung des Familienlebens, in der ästhetischen Ausstattung der Wohnverhältnisse, in Bildungsidealen und beruflichen Perspektiven seiner bürgerlich-christlichen Umwelt angeglichen hatte. Er empfand sich nicht in erster Linie als Jude, er sah sich als Landauer, als Deutscher, der sich auch in Krisenzeiten seines Landes als zuverlässig und tatkräftig erwies.
Abruptes Ende
Dies bewies er einmal mehr zu Beginn der 1920er-Jahre, als separatistische Strömungen für politischen Wirbel sorgten. Als Gegner der „Autonomen Pfalz-Bewegung“ kümmerte er sich vor allem um Gleichgesinnte, die 1924 aus Pirmasens flüchten mussten. In einer Nacht- und Nebel-Aktion verhalfen der Sohn Rudolf und ein Landauer Freund „10 Pirmasenser Herren“ zur Flucht über den Rhein. Bemerkenswerterweise war unter jenen Herren auch der spätere Kreisleiter von Pirmasens.
Die nationalsozialistische Machtergreifung beendete das öffentliche Leben von Victor Weiss abrupt. Er wurde in Zeitungen und auf Parteiveranstaltungen der Landauer Nationalsozialisten angefeindet und schließlich für kurze Zeit inhaftiert. Am 12. März 1933 legte er sein Ratsmandat nieder, zu groß waren der Druck und wohl auch die Erschütterung und der Schmerz über die öffentlichen Demütigungen der neuen Machthaber gegenüber einem Mann, der sich immer als mit Landau zutiefst verbundener Mensch gezeigt hatte.
Flucht nach Wiesbaden
Einen Tag später flüchtete Weiss mit seiner Frau nach Wiesbaden, in Landau hielt ihn nichts und niemand mehr. Nur wenige schienen Bedauern empfunden zu haben. Einige schrieben ihm nach Wiesbaden und bedankten sich bei ihm für sein Engagement. Auch der Theaterverein hielt ihm die Treue und entließ den jüdischen Mitbürger nicht aus seinen Reihen. Erst 1938 kündigte er selbst seine Mitgliedschaft.
Es gab nun endgültig kein Zurück mehr. Am 29. August 1942 nahm sich Victor Weiss in Anbetracht der bevorstehenden Deportation nach Theresienstadt in Wiesbaden mit Gift das Leben. Im Wohnpark Am Ebenberg ist seit 2011 eine Straße nach ihm benannt.