Lokalsport Südpfalz Schmatzende Löcher und unsichtbare Kräfte

„Verdammt, ich bin ein Weichei! Ich konnte sie nicht beenden, die ,Härteste Meile der Pfalz’.“ So hart hätte RHEINPFALZ-Mitarbeiter Felix Mescoli, er ist Übungsleiter im Boxen, sehr sportlich, nicht mit sich ins Gericht gehen müssen – nach dem Selbstversuch am Samstag in Hatzenbühl. Er meint es wohl eher ironisch. Auf der zweiten Runde stoppte ihn eine Knöchelverletzung. Wie es dazu kam.

HATZENBÜHL. Alljährlich am letzten Samstag im Oktober veranstaltet der TV Hatzenbühl den berüchtigten Crosslauf. Auf den Sportler lauern auf einer Strecke von 1605 Metern „Unwegbarkeiten“ wie gnadenlos kalte Wassergräben, schmatzende Schlammlöcher und andere fiese Hürden. Das Motto der Laufveranstaltung ist unmissverständlich: „Ist sie zu hart, bist du zu weich!“ Am Start stehen die Läufer dicht gedrängt, in Sichtweite verjüngt sich die Strecke wie ein Viehgatter, das zur Schlachtbank führt. Der Rennleiter geht per Megaphon-Durchsage den Streckenverlauf durch: „Strohballenwand“, „Bach“, „Tunnel mit Schlamm“. „Das kann ja heiter werden“, sage ich mir. Mal sehen, ob die vielen, vielen Stunden im Gym und in der Sporthalle für irgendwas gut waren. Die Startsirene heult, das Feld setzt sich in Bewegung. Nur nicht gleich stürzen im Gewusel! Hinter einer Hecke gleich die meterhohe Ballenwand. Einige meiner Vorderleute setzen elegant darüber hinweg. Andere tun sich schwerer, die Gelegenheit, ein paar Plätze gut zu machen. Nächstes Hindernis: Wassergraben. Wie die Gnus bei ihrer Wanderung in der Serengeti stürzen wir uns in die Fluten. Die sind zu dieser Jahreszeit mit Sicherheit deutlich kühler als die des Mara-Flusses. Vorteil: Anders als in Afrika, gibt es in der Südpfalz keine Krokodile. Doch auch hier lauert ein Feind unter der Oberfläche. Kaum im Wasser, legt der Schlamm seine kalten Kiefer um Füße und Knöchel und versucht, den Läufern die Schuhe auszuziehen. Nach vielleicht 20 eisigen Metern ziehen wir uns triefend und ächzend am Steilufer hinauf. Die vollgesogenen Sachen verleihen der Schwerkraft zusätzliche Wirkung. Schon tut sich der nächste Graben auf. Hechelnd wie nasse Hunde hetzen wir über einen lehmigen, wurzelverseuchten Waldweg – er sollte mir später zum Verhängnis werden. Schon hat sich das Feld auseinandergezogen. Vorne hat sich eine Dreiergruppe abgesetzt. Ich hefte mich an die Fersen des Verfolgers, der ein gutes Tempo vorlegt. Die Läufer hinter uns verlieren Meter um Meter an Boden. Nur eine einzelne Läuferin zieht plötzlich vorbei, wie ein Gepard an einem lahmenden Zebra. Über die Fitness mancher Menschen kann ich immer wieder nur staunen. Nach einem weiteren Wassergraben – die Durchquerung ist fast schon zur Routine geworden – müssen wir durch ein übel riechendes Matsch-loch robben. Danach hechten wir über einen Traktoranhänger, kriechen unter einem Pickup hindurch, Die erste Runde ist vollbracht. Ob ich mich darüber freuen oder daran verzweifeln soll, weiß ich nicht recht. Inzwischen pumpe ich wie ein auf dem Rücken liegender Maikäfer und auch mein Vordermann zeigt erste Ermüdungserscheinungen. Hoffentlich hält er durch, denn ich werde das Tempo nicht machen können. Die Strecke saugt mir förmlich die Kraft aus den Gliedern. „Du packst das!“, feuere ich mich an. Die Zuschauer am Rande der Zielgerade sind keine Hilfe. Ihr Jubel schallt wie aus einem entfernt-liegenden Fußballstadion herüber. Runde zwei: Strohballenwand, Bach, mehr Schlamm, mehr kaltes Wasser. Dann passiert’s: Ein scheußlich knirschendes „skrnch“ und ein stechender Schmerz im rechten Sprunggelenk bringen mich aus dem Tritt. Ein paar Meter später ist klar: Das Rennen ist für mich vorbei. An sechster Stelle liegend. Vor meinem geistigen Auge sehe ich den hinkenden und weinenden Derek Redmond bei den Olympischen Spielen in Barcelona mit gerissenem Oberschenkelmuskel das 400-Meter-Finale beenden. Vor mir liegen indes noch mindestens 500 matschige Meter und zwei Wassergräben. Der Knöchel pocht wie verrückt und auch die Kälte macht sich ohne Bewegung zunehmend bemerkbar. Obendrein behindere ich auf dem schmalen Waldweg die anderen Läufer. Viele haben ein paar aufmunternde Worte für mich: „Alles klar?“ „Brauchst Du Hilfe?“ Ich verneine beides und verlasse die Strecke. „Man muss vernünftig sein“, redet mir ein Streckenposten gut zu. Ich schenke ihm ein verzerrtes Lächeln. Im Ziel treffe ich meinen Tempomacher wieder, in der Hand einen Becher mit süßem Tee. Er hat die Position gehalten, Fünfter. Wir klopfen uns auf die Schultern. Am Tag danach gestehe ich mir zu, doch kein Weichei zu sein. Das Ei, das sich außen an meinem Knöchel gebildet hat, ist so hart und blau, als hätte es der Osterhase gebracht.

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