Karlsruhe Zu bequem für Hausarztbesuch

Szene aus einer Notaufnahme: In Karlsruhe landen auch viele Pfälzer, weil es dort sogenannte Krankenhäuser der Maximalversorgung
Szene aus einer Notaufnahme: In Karlsruhe landen auch viele Pfälzer, weil es dort sogenannte Krankenhäuser der Maximalversorgung gibt.

Wenn Harald Joachim Proske die Situation in der Zentralen Notaufnahme (ZNA) des Städtischen Klinikums beschreiben will, greift der Leiter der medizinischen Einrichtung am liebsten auf die Zahlen des vergangenen Jahres zurück. Um die 48.000 Menschen ließen sich 2017 nämlich in der Notaufnahme behandeln. „Aber nur 35 Prozent davon wurden danach stationär behandelt“, sagt Proske. Der Rest seien keine Notfälle. 65 Prozent hätten stattdessen ein paar Tage später einen Hausarzt konsultieren oder ihre Blessuren schlicht zu Hause auskurieren können, stellt Proske klar. „Wenn immer mehr Leute wegen irgendwelcher Bagatellen kommen, stellt das die Notaufnahmen vor große Herausforderungen“, sagt Proske. Deshalb müssten Krankenhäuser und Kassen immer wieder gemeinsam Ideen entwickeln, um die Patientenströme künftig etwas effizienter zu steuern. Selbst die Idee einer Gebühr für die Notaufnahme in Höhe von 50 Euro, mit der die Kassenärztliche Vereinigung Niedersachsen Mitte Juli für Wirbel sorgte, ist nach Proskes Erfahrung nicht vollkommen neu aber am Ende wegen der Hemmschwelle für ärmere, kranke Patienten nicht umsetzbar. Doch zumindest habe sich die Situation in der ZNA durch die Einrichtung der Notfallpraxis der niedergelassenen Ärzte sowie des Medizinischen Versorgungszentrums „Hausärztliche Praxis Notfallversorgung“ etwas entspannt. Dadurch können Patienten mit weniger schwerwiegenden Befunden bereits am Eingangsbereich an die Hausärzte weitergeleitet und die Mediziner der ZNA entlastet werden. Für den starken Zulauf in den Notaufnahmen gibt es nach Proskes Einschätzung gleich mehrere Gründe: „Viele Leute wollen sich heute nicht mehr selber helfen und definieren sich bereits ab 39 Grad Fieber ohne weitere Symptome als Notfall“, erklärt Proske. Außerdem gebe es einen gesellschaftlichen Trend, sämtliche Probleme in ihrem Leben immer so schnell wie möglich zu lösen und bei kleineren oder größeren Blessuren nicht auf einem Termin beim Hausarzt zu warten. Doch auch die niedergelassenen Ärzte tragen für Proske mit ihren langen Wartezeiten auf einen Termin ihren Teil zum Ansturm auf die Notaufnahmen bei. „Laut den offiziellen Vorgaben muss jeder Patient innerhalb von vier Wochen einen Termin bei seinem Arzt erhalten. In der Praxis wird das aber nicht immer gemacht und dann landen die Leute in der Notaufnahme“, so Proske. Und manche Leute seien schlichtweg „zu bequem“ und würden lieber in die Notaufnahme fahren als sich um einen Termin bei einem Spezialisten zu kümmern. „Dabei sind die Vorgaben doch klar geregelt“, stellt Proske dar. Notaufnahmen kümmern sich um Fälle, bei denen Gefahr für Leib und Leben besteht. Für ambulante Behandlungen sind niedergelassene Ärzte zuständig. „Wenn ein Gelenk ohne Trauma am Wochenende weh tut, kann man gut bis Montag warten und dann zu einem Orthopäden gehen“, so Proske. Für Jürgen Biscoping vom Vorstand der ViDia Christliche Kliniken Karlsruhe ist der Vorstoß mit der Notfallaufnahmegebühr ein „Sommerlochthema“. An den Notaufnahmen der ViDia Klinken im Diakonissenkrankenhaus Rüppurr und den St. Vincentius Kliniken in der Südweststadt werden nach seinen Worten jedes Jahr ebenfalls mehrere Zehntausend Patienten vorstellig. „Aber wir führen keine Strichlisten, sondern behandeln jeden Patienten gleich“, sagt Biscoping. Deshalb stünden die Ärzte und Krankenschwestern auch jeden Tag von Neuem vor der Herausforderung, die schweren Fälle schnell zu erkennen und schneller zu behandeln als die weniger schweren Fälle. „Natürlich ist es nicht einfach, dabei die Spreu vom Weizen zu trennen“, sagt der ViDia-Vorstand. Auf der anderen Seite steckten die Krankenhäuser mit ihrem Versorgungsauftrag in einer „echten Zwickmühle“: Patienten ohne schwere Krankheiten in der Notaufnahme über einen Kamm zu scheren, sei der falsche Weg. „Die Leute kommen aus den unterschiedlichsten Gründen. Mal haben sie Angst, mal wollen sie nicht auf einen Termin warten und mal kennen sie keine anderen Ärzte. Um das alles aufzuschlüsseln, müsste man eine Masterarbeit in Auftrag geben“, so Biscoping. Dass die kassenärztliche Notfallpraxis vor zweieinhalb Jahren von den St. Vincentius Kliniken ins Städtische Klinikum umzog, habe die Situation verschärft. Aber: „Die Hausärzte vor Ort sorgen für eine große Entlastung“, so Biscoping. „Und wenn es die Möglichkeit für einen zweiten kassenärztlichen Notfallsitz in Karlsruhe gibt, könnte dieser bei uns gleich morgen den Betrieb aufnehmen.“

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