Südpfalz Wenn Politiker plötzlich für Ältere einkaufen: Alexander Schweitzer und die Haferkleie

Wo sind denn die Mandeln? Alexander Schweitzer beim Einkauf.
Wo sind denn die Mandeln? Alexander Schweitzer beim Einkauf.

Es gibt eine neue Übereinkunft, die lautet etwa so: Dein Charakter zeigt sich an der Kasse. Wer hamstert? Wer hält Abstand? Und vor allem: Wer schiebt den Wagen für andere durch die Regalreihen, damit die sich nicht in Gefahr bringen? Alexander Schweitzer, SPD-Landtagsabgeordneter, tut das derzeit in Bad Bergzabern. Bürger können telefonisch bei ihm bestellen. Aber die H-Milch spielt meistens nur die Nebenrolle.

Es ist ein wunderbarer Frühlingsmorgen in Bad Bergzabern Anfang dieser Woche, die Vögel und die Sonne und die Bäume wollen offenbar ganz deutlich machen: Uns interessiert Corona so viel wie die geplatzten Olympischen Spiele in Tokio, wir werden eh hierbleiben. Die Umwelt ist gerade ziemlich selbstbewusst. Und Alexander Schweitzer, der mächtige Fraktionschef der zumindest in Rheinland-Pfalz noch mächtigen SPD, kommt mit einer Familienkutsche von Opel um die Ecke auf den Parkplatz des Edeka-Marktes. Er, 2,06 Meter groß, Hände, vor denen selbst dieses dreiste Virus ein bisschen Angst haben sollte, hat seit einigen Tagen etwas, das er schon lange nicht mehr hatte: einen leeren Terminkalender.

„Es ist nicht so, dass ich nichts zu tun hätte. Ich bin eigentlich von morgens bis abends in Telefonschalten. Es gibt ja jetzt sehr viel zu entscheiden in diesen Zeiten“, sagt er und greift sich einen Einkaufskorb. Der 46-Jährige hat aber auch ein Bürgertelefon geschaltet, er trägt es auch jetzt bei sich. „Oh, da war schon wieder ein Anruf“, sagt Schweitzer. Leute, die derzeit nicht in Supermärkte gehen sollten, das sind ja vor allem Ältere, können bei ihm bestellen. Er kauft ein, stellt die Waren vor der Haustür ab, legt die Rechnung bei. Ohne Berührung, versteht sich. Ein gewisser Abstand zu den Dingen kann auch Politikern manchmal nicht schaden.

Aus Angst wird dann auch sehr schnell Wut

Ein sehr betagter Herr aus der Kurstadt hat ihn angerufen, um seine Einkaufswünsche aufzugeben. Der habe ihm erzählt, sagt Schweitzer, dass er ihn gerne persönlich treffen würde. Aber dieses Virus ist wie eine Betonmaschine, die nach und nach Mauern zwischen Menschen wachsen lässt. Gerade das bereitet dem Politiker derzeit viele Sorgen, diese Einsamkeit, diese Verlorenheit, die sich jetzt in vielen Wohnzimmern dieser Republik breitmacht, weil noch nicht mal mehr die eigenen Kinder zum Sonntagskaffee kommen dürfen. Was für eine Welt. „Viele Menschen rufen nicht deshalb an, weil ich ihnen etwas aus dem Supermarkt mitbringen soll. Es geht mehr um Ängste, um die Frage, wie das hier weitergeht.“ Und aus Angst wird dann auch sehr schnell Wut. Manche prügeln sich ja schon um die letzte Packung Klopapier. Aber manchmal reißen eben auch fünflagige Nerven. „Einige sind von all dem überwältigt“, sagt Schweitzer, der inzwischen vor einem Backwarenregal ohne Backwaren steht. Endzeitstimmung zwischen Vollkorntoast und Milchbrötchen.

Haferkleie gibt es zum Glück noch, die hat sich der ältere Herr gewünscht. Schweitzer hat sich eine Einkaufsliste geschrieben, in ein rotes Buch. Sozialdemokratenrot. Manches bleibt eben auch in der Not beim Alten. Er packt noch zwei Stück Butter in seinen Korb, ein Glas Honig, dazu die RHEINPFALZ. „Man muss ja wissen, was jetzt da draußen los ist“, sagt Schweitzer. An der Kasse gleicht die Atmosphäre einem Warteraum beim Zahnarzt, nur der Lesezirkel fehlt. Schweitzer achtet auf die Abstandsmarkierungen am Boden, wer sie missachtet, ist zurzeit so beliebt wie einer, der mit seinem Wagen den Behindertenparkplatz blockiert. Die Kassiererinnen sitzen hinter Kunststoffscheiben. Sie grüßen, verabschieden. Was würde dieses Land zurzeit nur ohne diese tapferen Frauen tun?

Vielleicht lässt sich Frage aller Fragen beantworten

Schweitzer sagt, es gehe jetzt darum, gerade diejenigen in der Gesellschaft zu schützen, die wegen dieser unwirklichen Krise Sorgen haben, wie sie die nächste Miete zahlen sollen. „Ich will, dass die Leute wissen: Wir sind nicht nur ein starkes, wir sind ein bärenstarkes Land.“ Und gerade Rheinland-Pfalz habe klar gemacht, dass es sich über die Maßen einbringen werde, damit das hier möglichst alle einigermaßen gut überstehen. Klingt so Hoffnung?

Schweitzer nimmt seine Papiertüte, packt sie ins Auto. Er möchte dem Mann seine Einkäufe bringen, dann muss er gleich wieder ans Telefon, die Leute haben jetzt viele Fragen. Aber vielleicht lässt sich ja die Frage aller Fragen schon beantworten: Ja, wir schaffen das.

Info

Alexander Schweitzer ist unter seiner Bürgertelefonnummer 0157 35360074 erreichbar.

Wo sind denn die Mandeln? Alexander Schweitzer beim Einkauf.
Wo sind denn die Mandeln? Alexander Schweitzer beim Einkauf.
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