Kultur Südpfalz Was die Mode streng geteilt

Lydia und Emma sind in der Villa Wieser zu sehen.
Lydia und Emma sind in der Villa Wieser zu sehen.

„Unsterbliche Schönheiten“, zwar nicht aus Fleisch und Blut, aber doch in formvollendeten weiblichen Körpern, geben sich momentan ein Stelldichein in der Villa Wieser in Herxheim. Die Ausstellung „Schaufensterpuppen im Wandel der Zeit“ widerspiegelt modische und gesellschaftliche Aspekte, Kunst und Kommerz von den „Goldenen Zwanzigern“ bis heute und spannt den Bogen von den internationalen Modemetropolen bis in die Südpfalz.

Nackt, wie der Bildhauer sie schuf, stehen sie reihum auf einer Bühne des großen Saals und machen bella figura. Fünf Original-Schaufensterfiguren präsentieren sich in schlanker, leicht in die Länge gezogener Gestalt und erhabenem, irgendwie ins überhöhte Nichts gerichtetem Blick als Ikonen des Zeitgeistes und veranschaulichen erst bei genauerer Betrachtung dessen Wandel im 20. Jahrhundert. Ihr Entdecker, der Mannheimer Kulturwissenschaftler, Kurator und Sammler Wolfgang Knapp, kennt sie und ihre Mitstreiterinnen, die stets einen charakterstarken Namen tragen, quasi in- und auswendig: Seit über dreißig Jahren lebt, arbeitet und forscht er in ihrem Bann. Woher stammen Lulu (1928) und Wilma (1940), Erika (1955), Petra (1970) und Isabelle (Anfang 21. Jahrhundert)? Wer hat diese menschenähnlichen Geschöpfe nach welchen Vorgaben geformt und wie haben sich ihre Klone verbreitet? Als Urbilder der Kunst, Abbilder einer idealisierten Gesellschaft und Vorbilder vieler Frauen bilden sie einen faszinierenden kulturwissenschaftlichen Kosmos und sprechen mit ihren markanten Gesichtszügen und zeittypischen Frisuren nicht nur für sich, sondern auch für die Frauen, die sich noch heute erstaunlich lebhaft an all das erinnern, was sie ganz persönlich mit der jeweiligen Zeit verknüpfen. Bewusst vermeidet Knapp in seiner Schau, die von koketten Hut- und Friseurbüsten, eindringlichen Porträtfotografien historischer Figuren (Matthias Creutziger) und einer Videoinstallation mit Werbeanzeigen aus dem Herxheimer Mitteilungsblättern von 1954 bis 1969 flankiert wird, den Ausdruck Schaufensterpuppe und spricht fachsprachlich korrekt von Figuren oder Mannequins. Immerhin wurden ihre Prototypen oft nach lebenden Vorbildern in namhaften Bildhauerateliers in Berlin und Paris erschaffen. Zunächst aus Ton modelliert, dann als Gipsabdruck präpariert, kamen sie in fast jeden Winkel Deutschlands. Für Kulturhistoriker gehören die starren, aber vielsagenden Schönheiten zu den herausragenden Entwicklungen der Angewandten Kunst und des Visuellen Marketings im 20. Jahrhundert. Vordergründig sind sie Hilfsmittel der Modepräsentation und Verkaufsförderung, hintergründig ein Spiegel der Schönheitsideale und Modeströmungen, Werbung und Kommunikation, der Kunst und des Designs, der Wirtschafts – und Sozialgeschichte. So ist Wilma, die das Frauenbild zu Beginn des Zweiten Weltkriegs prägt, mit ihren Echthaarwimpern und Glasaugen, ihren relativ breiten Schultern am streng geformten Gipshartkörper viel statuenhafter als die knochige knabenhafte Petra aus Kunststoff und Kunsthaar, die an Twiggy denken lässt. Apropos knabenhaft: es haben sich in die Ausstellung auch ein einige Männer eingeschlichen. Unter anderem ein Schaffner, ein Gourmet und ein Tenor präsentieren ihre karikaturhaften „Charakterköpfe für Schaufensterfiguren“ der 1950er-Jahre. Info —Bis 3. Juni samstags 16 bis 18 Uhr, sonntags 14 bis 18 Uhr; Pfingstmontag und Fronleichnam 14 bis 18 Uhr, 3. Juni (Erdbeermarkt) von 13 bis 18 Uhr. —Am Freitag, 1. Juni, 18 Uhr, führt Wolfgang Knapp durch die Ausstellung, um 19 Uhr ist eine Lesung zum Thema Schönheit. — Knapp zeigt in Herxheim nur einen kleinen Teil seines großen Schaufensterfiguren-Projektes. Unter www.mannequin-museum.com ist sein virtuelles Schaufensterfiguren-Museum im Internet zu besuchen.

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