Kultur Südpfalz Vom Kokon in den Kosmos

In die hölzernen Kokons und Kapseln von Stefan Engel kann man nur in genau festgelegter Haltung kriechen.
In die hölzernen Kokons und Kapseln von Stefan Engel kann man nur in genau festgelegter Haltung kriechen.

Den Begriff Habitat verbindet man seit dem Biologieunterricht mit dem Lebensraum von Tieren und Pflanzen. In der Ausstellung aber geht es um den Menschen und seine physische Verortung in einer (Um)welt, die er sich selbst schafft oder derer er sich ermächtigen will. Vom Einlullen in einen Kokon bis zur Eroberung des Weltalls reichen die Vorstellungen. In der Ausstellung trifft man auf Lebensräume, die Schutz bieten oder abgrenzen, die verlassen wurden oder erobert werden müssen, die Intimität fordern oder Anonymität fördern. Und der Besucher mag darüber staunen, dass alle sieben Künstler erstaunlich ästhetisch und poetisch, friedvoll und leise zu Werke gehen. Selten ist der Protagonist Mensch so direkt zu sehen wie in den großformatigen Acrylgemälden von Susanna Storch aus Mainz. Sie richtet ihren Blick auf dunkle Häuserfronten in Großstädten und findet immer ein beleuchtetes Fenster, das hinter die Fassade blicken und den Betrachter zum zufälligen Zeugen sehr intimer Momente, damit zugleich aber auch zu einem Teil der Szene werden lässt. Zum zufälligen Voyeur sehr persönlicher Umgebungen wird man in den bunten, prallen und detailreichen Bildwelten der Malerin Sarah Zagefka aus Münster. Ganz unvermittelt blickt man auf Wohnzimmeregale und Sitzecken, die mit ihren Utensilien, prägnanten Stilrichtungen und dem Grad der Unordnung viel über die Menschen verraten, die sich darin eingerichtet haben. Man macht sich ein Bild von den Bewohnern, ohne sie zu Gesicht zu bekommen. Auch Joanna Schultes aus Hannover sucht nach Spuren menschlicher Existenz – allerdings an Orten, die schon längst verlassen und dem Verfall preisgegeben sind. Mit Fotografien, Videos und Klangkompositionen, die sie mit ihrem Partner Leif Sommerwild schafft, begleitet sie den jahrelangen Prozess des Verfalls und dokumentiert ihn in raffinierten Installationen für die Nachwelt. Wichtig ist ihr dabei auch die Weiterverwendung von Erinnerungsstücken, die zugleich den kulturellen Wandel von Statussymbolen vor Augen führen. So hat sie in die Villa Streccius eine Musiktruhe mitgebracht, auf der sich munter eine selbst bearbeitete Vinylplatte dreht und den Ton einzelner Wassertropfen abspielt. Auf der Frontseite zeigen unscharfe Filmaufnahmen, was passiert, wenn ein massives Wohnhaus ein undichtes Dach hat. Irgendwann hat sich die Natur ihren Platz zurückerobert. Umgekehrt demonstrieren die großformatigen Bilder von Jens Hausmann, wie sich massive Bauwerke rigoros in der Natur breit machen. Der gebürtige Thüringer, der heute in Berlin lebt, konstruiert mit Ölfarbe auf Leinwand kahle und kühle Bauten mit klaren Kanten, steilen Fluchten, akkuraten Linien. Ein grünes Pflänzchen im Vorgarten ist da kaum denkbar. Kahl und kalt ist auch die Welt, in die Gerhard Rießbeck seine kleinen, bunten Holzhäuschen stellt. Die aber werden in der unwirtlichen Umgebung des Eismeers, das der Künstler aus dem bayerischen Lichtenfels vor einigen Jahren erkundete, zu Zufluchtsorten und wärmenden Oasen menschlicher Existenz. In dieser begrenzten, aber intensiven Geborgenheit kann auch in dunkelster Nacht kein furchtvoller Gedanke aufkommen. Stattdessen entfalten magische Polarlichter kraftvolle Poesie. Die minimalistisch austarierten Behausungen, die der Mainzer Bildhauer Stefan Engel für ihre potenziellen Bewohner konstruiert, sind zwar nicht gemütlich, aber enorm platzsparend. Skizzenhafte, kolorierte Zeichnungen fungieren als Gebrauchsanweisungen, denn in die hölzernen Kokons und Kapseln kann man nur in genau festgelegter Haltung kriechen. Und auch dann bieten sie auf bewegtem Grund oder unebener Fläche nur vagen Schutz. In Engels architektonisch anmutenden keramischen Objekten sind die Oberflächen schon geborsten, aufgebrochen, verrottet. Der einst schützende Innenraum hat seine Wirkung verloren, seine Außenwände werden Teil des natürlichen Umfelds. Jedwedes Umfeld überragt und überstrahlt die interaktive Lichtinstallation „Flexipolis“ des Hamburger Künstlers Tobias Zaft. Als sterile, transparente Fata Morgana soll sie das Lebensgefühl und die Ästhetik moderner Großstädte wiedergeben. Seit 2012 hat der Künstler, der in Deutschland und China lebt, die Arbeit stetig weiterentwickelt und zuletzt sogar mit Smart Technology verknüpft. So können Besucher über eine App auf ihren Handys an dieser urbanen Utopie mitwirken und durch Lichtimpulse spielerisch ausloten, wie fragil eine nach immer neuen Superlativen strebende Welt ist. Am Rand dieses spektakulären Experiments kann man durch unscheinbare Diaboxen den Blick zurück auf ein Landau anno dazumal werfen. Solche Querverweise und Perspektiven machen die „Habitat“-Ausstellung zu einem stimmigen Erlebnis, das trotz hoher Qualität einen niederschwelligen Zugang erlaubt. Termin —„Habitat – Vom Sich-Einrichten in der Welt“ bis 20. Januar in der Villa Streccius Landau, geöffnet Di und Mi 17 bis 20 Uhr, Do bis So 14 bis 17 Uhr. —Zur Eröffnung heute um 20 Uhr gibt die Kuratorin Kristin Korz eine Einführung.

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