Kultur Südpfalz Vergessene Leidensgeschichte eines Volkes

Szene aus „Tiger und Löwe“ mit (von links) Sonja Viegener (Tochter), Gunnar Schmidt (NKWD-Funktionär) und Annagerlinde Dodenhoff
Szene aus »Tiger und Löwe« mit (von links) Sonja Viegener (Tochter), Gunnar Schmidt (NKWD-Funktionär) und Annagerlinde Dodenhoff (Anitschka).

„Vergiss und erinnere dich dabei“ – so mahnt im großen Schlussmonolog des Stückes „Tiger und Löwe“ die Putzfrau, die gerufen wurde, um die Spuren des Schreckens zu tilgen. Sie liegt in einer schwarzen Blutlache und weiß, dass dieser Alptraum der Geschichte unauslöschlich ist. Ein starkes Finale der Inszenierung im Badischen Staatstheater.

Natürlich bleibt die Erinnerung an die stalinistische „Reinigung“ in Georgien, der unter dem berüchtigten Polizeichef Beria 1937 über 150 Kunstschaffende und Intellektuelle zum Opfer fielen, als Teil des nationalen Gedächtnisses lebendig – als schwärende Wunde einer unseligen Geschichte, die aus politischen Gründen jahrzehntelang vertuscht, nun aber in postsowjetischer Zeit erneut ins Bewusstsein gerufen wurde. In seinem Stück „Tiger und Löwe“, das jetzt in Karlsruhe uraufgeführt wurde, aber auch in Tiflis zu sehen sein wird, leistet der georgische Autor Davit Gabulia seinen Beitrag zur späten „Bewältigung“ einer Vergangenheit, die nicht bewältigt werden kann. Das Werk verdichtet Ereignisse und Gestalten aus dieser schlimmen Zeit zu einem halbszenischen Tableau von Terror und Trauer. All die beklemmenden Episoden, die da im Stück verbunden werden, haben einen wahren, biografischen Hintergrund und sind in Georgien – anders als bei uns – als Beispiele des „Großen Terrors“ gut bekannt. Gabunias Text jedoch deutet mit Rücksicht auf das deutsche Publikum die historischen Anspielungen des Geschehen nur vage an. Dabei verlieren die Figuren ihre Namen und ihre Identität, wodurch sie zu exemplarischen Fällen abstrahiert werden. Das verleiht dem Werk eine problematische Unschärfe und behindert die Möglichkeit des Betrachters zur Einfühlung. Vor allem aber leidet die Wirkung des Stückes an seiner sprachlichen Einrichtung, die den Text zwischen dialogischen Szenen und berichtenden Einschüben ansiedelt. Da treten die handelnden Figuren unvermittelt aus ihren Rollen heraus und kommentieren sich selbst, ihre Gedanken oder die Situation. Im ständigen Wechsel der Positionen und Redehaltungen gehen die Konturen der Personen und die dramaturgische Schlüssigkeit des Werkes verloren. Für die Schauspieler ist diese Doppelschichtigkeit in der Anlage ihrer wechselnden Rollen eine arge Erschwernis, zumal die Inszenierung des georgischen Regisseurs Data Tavadze auf die Trübungen des inhomogenen Textes nur mit Beliebigkeiten, platter Symbolik und vordergründigen Notlösungen reagiert, die durch szenisches Augenpulver so etwas wie Aktion suggerieren sollen. Der Abend bringt sich durch hilflose Betriebsamkeit um seine Wirkung. Namentlich in der dürftigen Sprach- und Personenregie hat die Aufführung erhebliche Schwächen, die die Darsteller vergeblich aufzufangen suchen. Das sechsköpfige Ensemble hat darüber hinaus mit der papierenen Sprödigkeit des Textes zu kämpfen. Mag sein, dass der Autor, der sich bei der Frankfurter Buchmesse auch als Romancier vorstellen wird, im Grenzbereich von Drama und Erzählprosa einen unglücklichen Mittelkurs steuert und über dem positiven Willen zur politischen Botschaft den Blick für die Notwendigkeiten der Bühne eingebüßt hat. Jedenfalls erzeugen die spürbar verunsicherten Darsteller durchweg den Eindruck einer ambitionierten Künstlichkeit. Dabei gelingt es Gunnar Schmidt als eiskaltem, pompös auftrumpfendem „Funktionär“ noch am ehesten, der Schurkenfigur eine stringente Kontur zu geben. Aber selbst ein so versierter und kompetenter Schauspieler wie Timo Tank wirkt in der plakativen Rolle des gequälten „Schriftstellers“ seltsam fahrig und bleibt unter seinem gewohnten Niveau. Antonia Mohr als betont spröde agierende, gebrochene „Ehefrau“, Sonja Viegener als zwischen Schmerz und Empörung schwankende „Tochter“ oder Annagerlinde Dodenhoff als stumme, erst ganz am Ende eindrucksvoll redende Putzfrau Anitschka steuern der unentschiedenen Aufführung diffuse Studien bei, während Alexander Küsters die Liebesnöte eines „Soldaten“ im Zwiespalt zu linkischer Unbeholfenheit verspielt. Die enttäuschende Produktion von „Tiger und Löwe“ wäre im Studio sicherlich besser aufgehoben als im Kleinen Haus und ist als Bestandteil des Schauspiel-Abos gewiss kein bedeutender Beitrag. INFO Weitere Aufführungen sind für den 10. und 30. Juni geplant. Karten und weitere Termine unter Telefon 0721 933333 sowie www.staatstheater.karlsruhe.de.

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