Kultur Südpfalz Sprayer in der Streccius

Installation von Tore Rinkveld.
Installation von Tore Rinkveld.

Graffiti an den Wänden der ehrwürdigen Villa Streccius in Landau! Sprayer in allen Räumen und im Treppenhaus des Kulturtempels! Und der Kunstverein klatscht Beifall. Ein Skandal? Nein, ein Glücksfall! Denn die vier Typen, die sich hier Einlass verschafften, haben den Wandel vom Straßen- zum Salonkünstler vollzogen. Jetzt zeigen Robert Proch, Till Heim, Tore Rinkveld und Mirko Reisser als geladene Gäste ihre „Shifted Tags“ wohl dosiert auf Leinwänden und als Installation. Längst hat sich die Graffiti ihren Weg aus den Schmuddelecken dunkler Brückenpfeiler und schäbiger Hausbaracken ins bürgerliche Umfeld gebahnt und als Kunstform etabliert, die ein Parallelleben zwischen spontaner Aktion und wohl geordneter Präsentation führt und sich in diesem eigentlich schizophrenen Spagat darum bemüht, dass man sie nicht allzu sehr domestiziert. Kulturjournalist und Autor Theo Schneider hat diese brisante Mischung seit jeher fasziniert und deshalb die Graffitiausstellung kuratiert. Dabei war es ihm wichtig, das ursprünglich Wahre und Internationale nach Landau zu holen und mit der Szene vor Ort, vertreten durch Till Heim alias Sign, zu verknüpfen. Herausgekommen ist eine bunte und vielseitige Gesamtschau mit gezügeltem Galeriecharakter, die niemanden vor den Kopf stößt, und dennoch das Wesen der Graffiti mit all ihrer Dynamik und Lockerheit, Emotionalität und Verspieltheit, Power und Symbolkraft, aber auch Eigenverliebtheit und Sozialkritik zeigt. Der polnische Künstler Robert Proch hat keinen Künstlernamen und benutzt weder Tags noch Sprühdose. Stattdessen arbeitet er mit Pinsel und Acrylfarben auf Leinwand, manchmal auch auf Holzmodellen, die er „Wood Cuts“ und enorm exakt zusammenstellt. Seine farbstrotzenden, impulsiven, kontrastreichen und plakativen Werke befassen sich mit dem Menschen im Spannungsfeld seiner Umgebung oder Gefühle, was durch Frozen Effects und diagonale Bildachsen verstärkt wird. In Mirko Reissers Bildwelten dreht sich fast alles um ihn selbst. Denn stets kreisen die exakt geführten Sprühnebel um sein Namenskürzel „Daim“, dessen Buchstaben mal herangezoomt oder aus distanzierter Sicht ins Monumentale katapultiert werden. „Meine Arbeiten haben immer mit Raumeroberung zu tun“, sagt der Sprayer, der seine farbharmonischen Arbeiten als „Buchstabenarchitektur“ bezeichnet. Vielleicht bilden sie deshalb eine so überaus passende Sichtachse zur Plattenbauinstallation seines Kollegen Tore Rinkveld, alias Evol, mit dem er auch schon in Rom gemeinsame Sache machte. Das Tag Evol findet sich überall dort, wo es darum geht, verschwindende Stadtarchitekturen als Spiegel unserer Gesellschaft festzuhalten. An Ort und Stelle – etwa Dresden oder Berlin - nutzt der Künstler dafür gern Stromkästen, für Ausstellungen dienen ihm ausrangierte Arbeiter-Spinde als Gestaltungsobjekte. Einfache Schablonen für Fensterfronten, Balkone und Treppenhäuser, die er mit trist-fleckigem Grau besprüht. verwandeln diese Metallschränke, die in Ostdeutschland den Spitznamen Plattenbauten bekommen haben, in genau diese Stadtansichten und führen so die „gescheiterte Utopie des sozialistischen Traums“ vor Augen. Wirkungsvoll flankiert werden sie im Spiegelraum von Fotografien, auf denen Betonfundamente eines abgerissenen Schlachthofs durch den gleichen simplen Schabloneneffekt zu heruntergekommenen mutieren. Tore Rinkveld nutzt aber auch gebrauchte Pappkartons als äußerst probates Mittel zum Zweck. Aufgefaltet und raffiniert besprüht werden sie zu Brandschutzmauern abgerissener Wohnblocks oder Graffiti verschmierten Hausfassaden und damit, wie der Künstler sagt, „zu Porträts meiner Nachbarschaft, die es so bald nicht mehr gibt“. Till Heim macht sein „Sign“ im öffentlichen Raum – wie jüngst gegenüber der Stadtbibliothek geschehen – als Auftragsarbeiten gerne auch auf nagelneue Bauten. In der Streccius verbreitet er seine farbenfrohe, vielseitige, aber stets aus dem Grafischen entwickelte Gute-Laune-Kunst auf Leinwand, zerknülltem Papier und zusammengezimmertem Altholz. In seinen Arbeiten thematisiert er eigenen Lebenssituationen, suggeriert die Tatsache, „immer auf dem Sprung“ zu sein und stets optimistisch zu denken. „Take ist easy“ ermuntert er auch die Besucher, für die er die locker-entspannte Graffiti-Lebensart „in museale Formate“ bringen will. Info —„Shiftet Tags – Erben des Graffiti“, bis 24. Juni, Dienstag und Mittwoch, 17 bis 20 Uhr, Donnerstag bis Sonntag, 14 bis 17 Uhr. — 8. Juni (Kunst.Nacht(T)Landau): 19 bis 24 Uhr mit Live Musik des Palatina Benefiz Orchestra. — 14. Juni, 19.30 Uhr: Filmvorführung „The Rise of Graffiti Writing“ - Eine filmische Dokumentation von Redtowerfilms, in Zusammenarbeit mit arte.

Detail einer Arbeit von Robert Proch.
Detail einer Arbeit von Robert Proch.
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