Kultur Südpfalz Rot und frei

Erfahrungen besonderer Art vermittelten Freia Leonhardt (links) und Isabel Eichenlaub.
Erfahrungen besonderer Art vermittelten Freia Leonhardt (links) und Isabel Eichenlaub.

Fünf Wochen stehen die „Traghimmel“ von Tina Stolt nun schon in der Stiftskirche in Landau. Viele Menschen haben sie gesehen, durchschritten, sich gewundert und über das Sujet und die Bedeutung gerätselt und diskutiert. Eine Woche vor dem Ende der Ausstellung waren Kunstfreunde am Freitagabend eingeladen zu einer Betrachtung mit Gesang, Lautmalereien, Ausdruckstanz und gefühlvoll auf der Campanula gestrichenen Klängen. Die Überschrift „Frei mein Rot anvertraut“, die Isabel Eichenlaub und Freia Leonhardt für ihre Performance wählten, verleitete bereits im Vorfeld zur Erkenntnis: Die Kunst ist so frei wie die Gedanken. Und wenn wir uns auch noch so sehr darum bemühen, alles logisch zu erschließen, so lässt sich doch nicht Alles letztendlich mit menschlichem Verstand erklären. Nach einem ersten Moment absoluter Stille entledigten sich die beiden Künstlerinnen ihrer Schuhe, bevor sie den ersten „Traghimmel“ durchschritten. Unter dem zweiten Baldachin „umarmte“ Isabel Eichenlaub symbolisch Freia Leonhardt, indem sie die Campanula vor dieser strich und damit eine innere Verbindung herstellte. In ein faltenreiches klatschmohnfarbenes Gewand gehüllt, nahm Freia Leonhardt danach in schier grenzenloser Beweglichkeit den gesamten Kirchenraum ein, befreite das Rot aus dem vertrauten Schutz. Anmutig stieg und schlängelte sie sich über den Boden und die Bänke. Dabei unterschritt sie nicht selten die Distanz als Sicherheitsabstand, den jedes Individuum zur Wahrung seiner Intimität zu brauchen scheint, indem sie Kirchenbesuchern über den Schoß krabbelte. Einem anderen strich sie zärtlich über die Wangen. Pfarrerin und Hausherrin der Stiftskirche, Gerlinde Wnuck-Schad, hatte in der Begrüßung bereits ausdrücklich darauf hingewiesen, dass die Gäste sich frei im gesamten Kirchenraum bewegen dürfen. Als sie aus der Bank heraustrat und sich auf einer Stufe im Altarraum nieder ließ, folgten ihr nach und nach weitere Besucher und trauten sich schließlich in Bereiche eines Gotteshauses, die gemäß einer christlichen Erziehung geistlichen Würdenträgern vorbehalten sind. Begleitet von Naturgeräuschen, die Isabel Eichenlaub ins Mikrofon hauchte, schnalzte oder mit Wasser aus einer Schale erzeugte, erkundete Freia Leonhardt, ausdrucksstark tanzend, den Kirchenraum und die Kunstwerke aus vielen Perspektiven. Als sie von der Kanzel aus die Baldachine von oben herab mit einer Taschenlampe direkt beleuchtete, erleuchtete diese Erscheinung den Horizont der Besucher im Erkennen der Absicht der Bildenden Künstlerin und Erschafferin der Installation: In zwei Metern Höhe, auf wackeligen Stahlgestellen, hat Tina Stolt jeweils zwei gedruckte Akte aus Papier ausgeschnitten und versetzt übereinander zwischen zwei Plexiglasscheiben positioniert. Im Kunstlicht der Nacht nun werfen die Schwebenden ihren Schatten auf die Erde, sind aber durchschaubar genug, um den Blick in den (Kirchen)himmel darüber noch zu gewähren. Dem Schutz etwas Allerhöchstem, Umfassenden anvertraut, wagt das Individuum die Freiheit. Es könnte aber auch andersrum sein: Das Individuum befreit sich aus der Enge des Schutz gewährenden Raumes, überschreitet Grenzen, wagt es, sich aus der Masse in eine selbst bestimmte Freiheit zu lösen: „Frei mein Rot anvertraut“. Nicht „Wer“ sondern „Was“ ist der Mensch, ist eine essenzielle Frage, die die Leiterin des Kunstinstituts an der Landau Universität, Tina Stolt, als freischaffende Künstlerin umtreibt. In den 45 Minuten tief entspannender Hochkonzentration auf die ungewohnten Klänge, gestrichen auf 16 Resonanzsaiten der Campanula als erweitertes Cello, in choral- und obertonähnlichen Gesängen, experimentellen Laut- und Klangmalereien sowie den ausdrucksstarken Bewegungen der Tänzerin war den Kirchenbesuchern ebenso tiefe Einkehr wie die Erkenntnis beschert, dass jeder Einzelne einzigartig und Teil eines übergeordneten großen Ganzen ist. Freiheit des Individuums im Schutz der Gemeinschaft. Bevor sie, so still und leise, wie sie hereingekommen waren, durch die Hauptpforte verschwanden, vertraute Freia Leonhardt den Kirchenbesuchern Karten an. Auf jeder sind das Foto einer Klatschmohnblüte und die samengefüllte Kapsel einer solchen aufgeklebt.

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