Kreis Germersheim Reportage: RHEINPFALZ-Mitarbeiter steigt in den Ring

In den Seilen hängen.
In den Seilen hängen.

«Kandel.»„Bing!“ – Der Gong ruft zur 1. Runde: Meine Güte, ist der Typ groß. Mindestens einen halben Kopf größer, als ich ihn von der Boxveranstaltung in Freiburg 2017 in Erinnerung hatte. Größere Gegner bereiten mir – wie eigentlich jedem Boxer – Schwierigkeiten. Das Problem ist, dass man als der Kleinere erstmal eine Barriere aus fliegenden Fäusten überwinden muss, um den Gegner zu treffen.

Eine Möglichkeit: den Langen mit einem Sperrfeuer aus Jabs so unter Druck zu setzten, dass er gar nicht erst zum Schlagen kommt. Das kostet aber viel Kraft. Oder man schlüpft unter seinen Hieben hindurch und bringt den Krieg zu ihm. Das ist mein Plan. Deshalb habe ich wochenlang Kopfbewegungen gedrillt. Runde um Runde, Stunde um Stunde bin ich unter gespannten Seilen durchgetaucht, um meinem Oberkörper das Pendeln einzuimpfen. Oder ich bin einem kleinen von der Decke pendelnden Gewicht ausgewichen. Auf Dauer echt öde. Doch wie der fürchterliche Mike Tyson, Ex-Champion im Schwergewicht, gesagt hat: „Disziplin bedeutet, Dinge, die man hasst, so tun, als würde man sie lieben!“ Er hat aber auch gesagt: „Everyone has a plan ’till they get punched in the mouth.“ Auf Deutsch: „Jeder hat einen Plan – bis er was auf die Fresse bekommt.“

Zu viele Schläge kassiert

Sich schlaue Pläne einfallen zu lassen ist eine Sache, sie durchzuziehen, während ringsumher die Granaten einschlagen, eine andere. Erschwerend kommt hinzu: Der Gegner hat auch einen Plan. Der des Mannes vom Karlsruher Polizei Sportverein ist offenbar, erstmal nichts zu tun. Es gibt keine Schläge, die man umgehen könnte. Er will, dass ich zu ihm komme. Wie ein Reh über die Wiese, so dass er den Fangschuss setzen kann mit seinen langen Armen. Die Runde läuft entsprechend durchwachsen. Ich komme zwar das eine oder andere Mal heran, aber fresse auf dem Weg zu viele Schläge – das ist nicht gut. In der Pause gibt mir der Trainer auf, mehr durch die Mitte zu gehen. Heißt, das Sperrfeuer des Gegners durch mehr Feuerkraft unterdrücken. Die anstrengende Variante also.

"Der Job muss erledigt werden"

„Bing!“ – 2. Runde: Leute, die nichts von Boxen verstehen, denken, es gehe ums Prügeln. Das stimmt nicht. Es geht darum, die eigenen Urinstinkte – bei Angriff Flucht – zu überwinden und dem Gegner den Willen aufzuzwingen. Dazu braucht es Fitness, aber auch Geschick, Köpfchen und – vor allem – mentale Stärke. Dazu Tyson: „Du darfst dich durch nichts stören lassen. Es geht nicht um Emotionen. Der Job muss erledigt werden.“ Das Problem: Von den Anforderungen ist Boxen mit Basketball zu vergleichen, was Geschwindigkeit, Koordination und Übersicht angeht. Nur das einem die Gegenspieler hier den Ball ständig gegen den Kopf werfen. Ich versuche also meine Zahl an Würfen zu erhöhen. Und es gelingt mir ein ums andere Mal, den Gegner in die Seile zu drängen. Im Nahkampf sind ihm seine langen Arme hinderlich und ich kann ihn relativ ungestört mit Haken bearbeiten. Aus dem Augenwinkel sehe ich Landrat Fritz Brechtel anerkennend nicken. So langsam kriege ich Oberwasser. In der Pause lobende Worte vom Trainer. Jetzt gilt es, den eingeschlagenen Weg zu Ende zu gehen.

Pumpen wie ein Maikäfer

„Bing!“ – 3. Runde: Ich bin jedes Mal erneut erstaunt, wie lang dreimal zwei Minuten sind. Natürlich haben wir uns bislang nicht mit Watte beworfen – im Gegenteil. Dem anderen blutet ein wenig die Nase – das macht Mut –, aber er hat mir eine mächtige Rechte reingeknallt. In unserer Gewichtsklasse (Halbschwergewicht) kann ein Kampf mit sowas leicht vorzeitig enden. Ich bin müde und pumpe trotz unzähliger Joggingkilometer, Sprints und Treppenläufe wie ein Maikäfer. Aber hilft ja nix, einpacken und heimgehen ist keine Option. Ich beiße also den Hintern zusammen, wie meine Frau zu sagen pflegt, und mache da weiter, wo ich aufgehört habe – so gut es eben geht. Im Training spule ich locker sechs, sieben Runden runter. Und der Ring ist eine andere Welt: die Anspannung, das Publikum, der Gegner, der einem unentwegt auf die Pelle rückt. Schließlich und endlich ertönt das erlösende Signal für die letzten 10 Sekunden. Eigentlich sollte man jetzt einen Angriff starten, das kommt bei den Ringrichtern immer gut an. Aber der Tank ist leer und ich belasse es bei ein paar Alibi-Schlägen um wenigstens den Gegner keinen Raum für irgendwelche finalen Überraschungen zu geben. Doch der ist zum Glück auch nicht frischer. „Bing!“: Wir umarmen uns anerkennend und nehmen dann Aufstellung neben dem Ringrichter. „Und der Sieger kommt aus der roten Ecke“, höre ich die Sprecherin sagen. Der Schiri hebt meinen Arm.

Trotz voller Halle: Der Weg zum Ring ist ein einsamer Gang.
Trotz voller Halle: Der Weg zum Ring ist ein einsamer Gang.
Mehr durch die Mitte gehen fordert der Trainer von seinem Schützling Felix Mescoli (rot), der gegen Jörn Masuch (blau) boxt.
Mehr durch die Mitte gehen fordert der Trainer von seinem Schützling Felix Mescoli (rot), der gegen Jörn Masuch (blau) boxt.
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