Kultur Südpfalz Reise durch ein unbekanntes Land

Jedes Jahr einmal darf der bekannte Literaturkritiker Dennis Scheck sich für seine Lese-Matineen im Künstlerhaus Edenkoben einen Wunschgast aussuchen. Diesmal fiel seine Wahl auf die erfolgreiche Schriftstellerin Felicitas Hoppe, die im Frühjahr mit ihrem schillernden, virtuos geschriebenen Bericht „Prawda. Eine amerikanische Reise“ große Zustimmung gefunden hat.

Ihre Vorliebe für das Thema Reisen begründete die in Hameln aufgewachsene Autorin hintersinnig damit, dass ihre kleine, ruhige Heimatstadt den Wunsch nach Ausflügen in die Welt geradezu begünstige. Und so ging Hoppe zum Studieren nach Tübingen, Berlin, Rom und in die USA. Seit sie 1991 mit dem Bücherschreiben begonnen hat, ist sie auf Lesereisen, mit Vorträgen und Lehrverpflichtungen ständig unterwegs und unternahm gar 1997 auf einem Containerschiff eine Weltreise um den Globus. Von Scheck nach ihren Schreibgewohnheiten befragt, erklärt die Autorin, sie schreibe ihre Werke immer in möglichst raschem Tempo, denn „man muss schneller sein als die Zweifel“, vor denen sie auch nach so langer literarischer Tätigkeit mit Romanen, Erzählungen und Kinderbüchern nicht gefeit sei. Dass sie 2012 mit dem renommierten Büchner-Preis ausgezeichnet wurde, spielt sie kokett herunter und verweist mit augenzwinkerndem Stolz auf den Rattenfänger-Literaturpreis der Stadt Hameln, den sie 2010 für ihr Jugendbuch „Iwein Löwenritter“ erhielt. Wie in vielen Büchern der Autorin, so behandelt auch schon der „Iwein“, aus dem sie in Edenkoben ein programmatisches Kapitel zum Aufbruch des Ritters vorlas, ihr Kernthema Reisen, weil sein Held sich aus Langeweile auf die Suche nach Abenteuern in der unbekannten Welt begibt – ein Motiv, das sich im „Prawda“-Buch erneut variiert findet. Überdies greift der „Iwein“ auf eine bedeutende Vorlage zurück: den gleichnamigen Roman des mittelalterlichen Dichters Hartmann von Aue, und auf diesem Prinzip der Überschreibung beruht auch „Prawda“. Hoppe plädiert dafür, dass Literatur aus der Literatur entstehen könne. „Schriftsteller müssen nicht unbedingt immerzu Neues erfinden.“ Demnächst plant sie das alte „Nibelungenlied“ zu bearbeiten, in dem freilich die Helden auf ihrer Reise blutig untergehen. Ganz so gefährlich geht es im „Prawda“-Roman allerdings nicht zu. Aber auch er hat eine Vorlage, denn das Werk stützt sich auf ein seinerzeit berühmtes Buch der russischen Autoren „Ilf und Petrow“, die 1935/36 die USA von Küste zu Küste bereisten und ihre Eindrücke von dem in Russland weithin unbekannten Land unter dem Titel „Das eingeschossige Amerika“ veröffentlichten. Die hier manifestierte, naive Fortschrittsgläubigkeit überprüft Hoppe, indem sie sich an die Spuren des Duos heftet, dieselben Orte aufsucht und die alten Einsichten mit eigenen Erkenntnissen abgleicht. Dabei ist mehr als nur ein weiterer USA-Guide entstanden. Hoppe verbindet ihre Berichte mit einem höchst komplexen Konstrukt aus Fantasie und Visionen, utopischen Exkursen und skeptischen Anspielungen. Zwar lässt sich über die Stationen ihrer Reise und das aktuelle politische Klima im Lande viel erfahren – zumal ihr Besuch 2015 in die heikle Zeit des Vorwahlkampfes fällt, in der sie eine spürbare „Latenz der Bedrohung“ feststellt. Aber der wache Realismus solcher Eindrücke wird immer wieder gebrochen durch Verfremdungen, Zeitsprünge und sprachliche Hochseilakte. Hoppes Fahrt in die Fremde bildet nicht die Wirklichkeit ab, sondern ihr Weg führt durch imaginäre Räume, in denen amerikanische Gründungsmythen, literarische Motive und assoziative Bezüge die Lektüre einerseits erschweren, andererseits aber auch bereichern. Nur ein Kapitel aus „Prawda“ las die Autorin vor: das Porträt eines verschrobenen Archivars, der als „Hüter der Ewigkeit“ den Blick auf die magischen Welten eröffnet, die der Roman danach durchschreitet und erschließt. Das klang durchaus verheißungsvoll, und die klugen Kommentare, die Hoppe mit beredten Worten zu Entstehung, Verlauf und Absicht ihres Werkes ausbreitete, beförderten im Publikum den Wunsch, sich am Büchertisch zu versorgen. Lesezeichen Felicitas Hoppe: Prawda. Eine amerikanische Reise. S. Fischer Verlag, Frankfurt/Main 2018. 318 S., gebunden 20 Euro.

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