Landau Landau: Plakatkleber pocht auf Meinungsfreiheit

Der Angeklagte (links) im Gespräch mit dem Psychologischen Gutachter Professor Henning Saß.
Der Angeklagte (links) im Gespräch mit dem Psychologischen Gutachter Professor Henning Saß.

Seit gestern muss sich ein 54-jähriger Landauer vor dem Landgericht verantworten, weil er Protestplakate im Stadtgebiet geklebt und damit Sachbeschädigungen begangen haben soll. 2012 war er vom Vorwurf ähnlicher Fälle freigesprochen, aber in eine Klinik eingewiesen worden. Das Gericht will sich fünf Tage Zeit nehmen.

Staatsanwalt Bastian Rothmann braucht eine halbe Stunde, um die Vorwürfe vorzulesen, die gegen den stadtbekannten Landauer zusammengetragen worden sind. Es sind 38 Fälle mit 23.000 Euro Schaden. Meistens geht es um jeweils mehrere Plakate im Din-A3-Format. Acht Varianten hat er selbst gefertigt, mal mit Kritik an der Arbeitsagentur, mal an der Justiz, mal an den Medien, namentlich der RHEINPFALZ. Dabei war es ein Beitrag im Pfälzer Tageblatt, der den Angeklagten 2001 so sehr angesprochen hatte, dass er ihn als Beweis für seine Theorien und als Rechtfertigung für sein weiteres Tun anführt. Denn der 54-Jährige leugnet nicht. Da Zeitungen und Fernsehen seine Enthüllungen nicht drucken und senden wollten, so sagt er, habe er keine andere Möglichkeit – so wie die Dissidenten in totalitären Regimen. Die früher von ihm gepinselten Hakenkreuze dienten nur der medialen Aufmerksamkeit.

Angeklagte antwortet nur einsilbig

In besagtem Artikel wird der Fall einer arbeitslosen jungen Frau geschildert, die während einer Umschulung des Arbeitsamtes aus eigener Kraft eine Stelle findet, aber von der Behörde nicht aus der Fortbildung entlassen wird. Der Angeklagte antwortet zunächst nur sehr einsilbig. Auf behutsame Nachfragen des Vorsitzenden Richters Helmut Kuhs und nach geflüsterten Ratschlägen seiner Anwältin Eva Wilhelm-Furtwängler aus Saarbrücken taut er allmählich etwas auf. Er selbst hatte nach dem Abi am ESG, einer Banklehre und einem Betriebswirtschaftsstudium in Mannheim eine Stelle bei einer Wirtschaftsberatungsfirma in Frankfurt gefunden, die ihn nach der Probezeit nicht übernahm. Die Aufgabe sei unlösbar gewesen, sagt er und erzählt von Swaps, die als etwas anderes ausgegeben werden sollten, von Mindestreserven und dem Vermeiden von Gebühren. „Die haben es nicht gekonnt, da haben sie mir es gegeben“, sagt er zu der „irrwitzigen Aufgabe“.

Der Mann entzieht sich einer Untersuchung

Das Arbeitsamt steckt den Widerstrebenden 1994 in eine Qualifizierung für Akademiker, aber er fühlt sich unterfordert. Nur die Drohung, dass ihm die Unterstützung gestrichen wird, lässt ihn die sechs Monate absitzen. Er spricht von „offenem Vollzug“ und Zeitverschwendung, die ihn den Anschluss in seinem schnelllebigen Beruf gekostet habe. Er fühlt sich drangsaliert, wird laut, schreibt Protestbriefe und entzieht sich dem Versuch des Arbeitsamtes, ihn vom Amtsarzt begutachten zu lassen. Irgendwann stößt er auf den RHEINPFALZ-Bericht, den er als eine Art Erweckung schildert: Er erkennt aufgrund seiner wissenschaftlichen Schulung, dass das Arbeitsamt mehr Geld für Kurse bekommt als für eine Vermittlung in Arbeit. „Falsche Anreizstrukturen“, wie er konstatiert.

Scheinbüros als Argument

Inzwischen sind die Hartz-IV-Reformen eingeführt, Arbeitsämter und Sozialämter bilden Jobcenter. Nicht für den Angeklagten: Für ihn wurde das Personal der Arbeitsämter wegen Unfähigkeit ausgetauscht. Als Beweis führt er an, dass er zufällig auf mehr als ein Dutzend leere Räume im Arbeitsamt gestoßen sei, Scheinbüros, in denen offenbar niemand arbeite. Doch weil das niemand zugibt und weil sich niemand bei ihm entschuldigt, versteigt er sich in seine Protestaktionen, die ihn 2012 wegen 150 Fällen vor Gericht bringen. Er wird freigesprochen, aber ins Pfalzklinikum eingewiesen – aufgrund von „Gutachten mit alternativen Fakten“, wie er heute sagt. Bewährungsauflagen kommt er nicht nach, weder geht er alle 14 Tage zu seiner Therapeutin, noch wöchentlich zu seinem Bewährungshelfer. Medikamente will er nicht nehmen, „das wäre Selbstmord“. Aber sein Tun ist ja auch kein Wahn, wie er sagt: Er verbringe maximal zwei bis drei Prozent seiner Zeit damit – „ein Nebenjob“. Und gefährlich kann es schon gar nicht sein, denn dann hätte die Stadt ja seine Plakate von den Verkehrsschildern entfernen müssen. Die Verhandlung wird heute um 9 Uhr im Saal 309 fortgesetzt.

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