Lokalsport Südpfalz Interview mit Thorsten Kuschel: Wenn das gute Gewissen aus der Haut fährt

Mädchenspiel beim Pfalzgas-Cup, bei dem der Verband gerne Jungschiedsrichter einsetzt.
Mädchenspiel beim Pfalzgas-Cup, bei dem der Verband gerne Jungschiedsrichter einsetzt.

INTERVIEW: „Worum geht es Euch eigentlich?“ Thorsten Kuschels Wutrede über das Verhalten von Erwachsenen bei Jugend-Handballspielen ist in sozialen Netzwerken auffällig häufig geteilt und kommentiert worden. Alle Meldungen seien positiv gewesen, sagt der 33-jährige Schiedsrichter-Ausbilder. Vor und während Spielen seien Menschen sehr verschieden.

Herr Kuschel, sind Sie seit Ihrer „Wutrede“ auf dem Verbandstag der pfälzischen Handballer, die am 30. Juni in der RHEINPFALZ zu lesen war, von Eltern schon mal schief angesehen worden?

Nein, gar nicht. Ich weiß nicht, ob sie realisieren, ob sie gemeint sein könnten, ob es ihnen egal ist oder ob sie reflektieren, dass es besser ist, sich zurückzuhalten. Alle Meldungen sind positiv gewesen. Manche Leute sind während und nach den Spielen andere Leute. Es gibt auch Trainer, von denen du denkst, es sind die tollsten Kerle, und in 60 Minuten merkst du, was der Sport mit Personen machen kann. So verschieden sind Menschen. Würden Sie heute noch einmal so emotional in die Öffentlichkeit gehen? Auf jeden Fall. Vielleicht noch drastischer an mancher Stelle. Es war längst an der Zeit, diese Problematik anzusprechen, das Riesen-Feedback hat mir recht gegeben. Wie schnell eigentlich hat ein Jung-schiedsrichter das Regelwerk verinnerlicht, zu dem nun auch die Blaue Karte gehört? Gute Handballer haben meist ein gutes Spiel- und Regelverständnis, manche haben die Regeln flott drauf. Ein Unterschied ist aber, Regelwidrigkeiten von außen zu erkennen oder sie selbst ahnden zu müssen. Die Umsetzung auf dem Spielfeld ist die Krux bei der Sache. Es ist auch Typensache. Offene, gute, intelligente Spieler tun sich leichter. Die Feinheiten kommen nach und nach. Und wie viel Erfahrung braucht es, um sich völlig auf ein Spiel konzentrieren zu können und alles andere drum herum zu vergessen? Die Wenigsten schaffen es schnell. Ein, zwei Jahre dauert es schon mindestens. Da hat man dann auch so viel Feedback von den Coaches bekommen, um sich angemessen verhalten zu können. Dann sind wir aber erst auf dem unteren Level. Bei mir ist es so: Je mehr Zuschauer, je lauter es in der Halle ist, umso angenehmer ist es. Angenehmer als vor 20 Leuten, von denen du jede Stimme hörst Wann haben Sie zuletzt persönliche Verletzungen beim Handball ertragen müssen? Ich habe in dieser Saison keine Situation im Kopf, wo mich jemand berührt oder angemacht hätte. Tatsächlich alles konstruktiv und bisher wirklich sehr angenehm. Und eine richtige „Verletzung“ ist mir in den letzten Jahren auch nicht passiert. Klar, hochgekochte Emotionen gibt es immer mal wieder. Aber das habe ich noch nie persönlich genommen. Persönlichkeit oder arroganter Schiedsrichter, der Grat ist schmal. Können Sie Persönlichkeit schulen? Schulen ist schwierig. Man kann den jungen Schiedsrichtern Handwerkszeug geben: Wie man sich auf und neben dem Spielfeld gut verhalten kann, wie man reagieren kann. Man sollte immer überlegen, wie wirke ich mit meinem Verhalten auf andere? Job erfüllen, offen, neutral und freundlich sein, Selbstreflexion, das sind gute Mittel. Wie reagiere ich, wenn ein Trainer nach einer Entscheidung ausflippt? Dann kann ich nicht auch ausflippen. Man muss wissen: Es ist nichts Persönliches. Vielleicht habe ich die Situation anders gesehen. Man entwickelt ein ganz gutes Gespür, ob Entscheidungen falsch gewesen sein könnten. Ich kann durchaus mal sagen „Sorry, Trainer, du hast hier vielleicht recht“. Sich bei 20 Situationen zu entschuldigen bringt natürlich nichts, da sollte ich mich aber hinterfragen, was ich hier treibe. Mimik, Gestik, Körperhaltung, man kann einen guten Weg finden, um nicht arrogant, sondern souverän zu wirken. Wie lange dauert es, bis Sie spüren, dass einer nicht für das Amt taugt? Ob jemand talentiert ist, weiß ich nach zwei Minuten. Aber jeder hat eine Chance verdient. Manche brauchen eben länger. | Interview: Thomas Cattarius

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