Landau Hartmann: "Kandel soll nicht zum Wallfahrtsort für Rechte werden"

Klare Ansage: In Kandel hatten Anwohner für die Demo Anfang März dieses Plakat aufgestellt. Für Samstag ist der nächste Aufmarsc
Klare Ansage: In Kandel hatten Anwohner für die Demo Anfang März dieses Plakat aufgestellt. Für Samstag ist der nächste Aufmarsch geplant.

Interview: Der Tod der 15-jährigen Mia hat nicht nur viele Menschen in Kandel aufgeschreckt, sondern auch weite Teile des Landes.

Der Landauer Grünen-Fraktionschef Lukas Hartmann fordert die demokratischen Kräfte in der Region auf, bei der nächsten Demo am Samstag Flagge zu zeigen. Es gehe jetzt darum, Menschen zu mobilisieren. Herr Hartmann, für kommenden Samstag hat die baden-württembergische AfD-Landtagsabgeordnete Christina Baum erneut eine Demo in Kandel angemeldet. Besteht die Gefahr, dass die kleine Stadt nach dem gewaltsamen Tod der 15-jährigen Mia zu einem Wallfahrtsort für Rechte wird? Ja, deren Ziel ist es, Kandel zum Dresden des Südwestens zu machen. Sie haben in der jüngsten Sitzung des Landauer Stadtrats eine emotionale Rede gehalten. Darin haben Sie die politischen Kräfte in der Region aufgefordert, sich mit Kandel zu solidarisieren und sich damit gegen rechte Strömungen zu positionieren. Welche Reaktionen haben Sie bekommen? Ich hatte danach den Eindruck, dass einige Kollegen nachdenklich geworden sind. Haben die politischen Akteure aus der Region bisher zu wenig getan? Ja, bisher ist nicht viel passiert. Es gab die Hoffnung, dass dieses schreckliche Verbrechen nicht instrumentalisiert würde. Aber die Zeit hat sich geändert, wir müssen jetzt mobilisieren, um ein klares Zeichen zu setzen gegen Rechts. Ich will noch eine Bemerkung machen: Ich war bei der letzten Demo in Kandel, im Zug stand ich direkt neben einer Gruppe von „Kandel ist überall“-Demonstranten. Die nannten den Kandeler Bürgermeister eine „Rassenschande“ und „Blutsverräter“. Um das klar zu sagen: Wer solche Worte nutzt, ist ein Rassist. Ich gehöre zu den Grünen, die auch intern sagen, etikettiert nicht jeden, der sehr konservativ oder nationalistisch denkt, gleich als Rassisten. Aber in Kandel versammeln sich echte Nazis und Rassisten. Die lehnen unseren Staat und unsere Werte ab. Wer sich neben sie stellt, macht sich mit ihnen gemein. Ministerpräsidentin Malu Dreyer war am Dienstag in Kandel, um mit Vertretern aus Politik und Gesellschaft ein Bündnis gegen rechte Demonstranten zu schmieden. Etwas spät, oder? Es geht jetzt nicht mehr um Ego-Geschichten. Es ist egal, wer angefangen hat und wer später dazukommt. Eitelkeiten – ganz egal von wem – bringen uns nichts. Wir haben ein gemeinsames Ziel: dass Kandel nicht zu einem Wallfahrtsort für Rechte im Südwesten wird. Deshalb finde ich es gut, wenn die Ministerpräsidentin kommt. Bei der letzten Demo in Kandel waren rund 4000 Menschen dabei. Sie halten, wie viele andere auch, die Flüchtlingspolitik der Bundesregierung, aber auch die Ihrer Partei für falsch. Haben Bürger nicht ein Recht darauf, ihre Ängste mitzuteilen? Natürlich hat jeder das Recht zu demonstrieren, seine Meinung zu äußern. Aber noch mal: Wer den Kandeler Bürgermeister „Blutsverräter“ nennt, äußert keine Meinung. Das ist klar rassistisch – und mit dem rede ich nicht. Es gibt aber auch Leute, die ihn nicht so genannt haben und bei der Demo waren. Was macht man mit denen? Tja, gute Frage. Gibt’s eine Antwort? Wir müssen offener streiten und mehr Meinungen zulassen. Das heißt? Ich kann akzeptieren, dass Menschen kein Verständnis dafür haben, dass Geflüchtete, die hier schwerste Straftaten begehen, nicht abgeschoben werden sollen. Wir Grüne lehnen aus guten Gründen Abschiebungen in Krisengebiete ab, aber man muss über beide Positionen offen reden können – und zwar ohne, dass auf der einen Seite der Nazi und auf der anderen der linksgrünversiffte Gutmensch steht. Wir müssen offen, ehrlich und auf Augenhöhe miteinander streiten. Nur so finden wir echte Lösungen. Sie sprechen eine deutliche Sprache, wenn es darum geht, den politisch Extremen in Kandel nicht die Deutungshoheit zu überlassen. Einige haben jedoch den Eindruck, dass die Sprache vieler Politiker wachsweich wird, wenn es darum geht, Probleme mit Zuwanderern zu benennen. Das Problem ist doch zweierlei: Einerseits brauchen wir eine ehrliche Diskussionskultur, die mehr auf direkte Auseinandersetzung zielt. Es gibt Unterschiede in den politischen Positionen, und diese müssen deutlich sichtbar sein. Das andere ist die Sprache. Da haben wir uns auch wichtige Begriffe von den Rechten wegnehmen lassen. Heimat ist so ein Begriff. Winfried Kretschmann hat mal gesagt, dass Heimat etwas sei, das nicht weniger werde, wenn man es teile, was ich einen sehr schönen Satz finde. Aber viele Linke schrecken davor zurück, dieses Wort in den Mund zu nehmen. Auf der einen Seite kann ich deren Argumente verstehen – auf der anderen finde ich es schade, weil ich die Deutungshoheit nicht den Rechten überlassen möchte. Die Pfalz ist meine Heimat – und das möchte ich sagen können. Der Kampf gegen Rechts ist also auch ein Kampf um Begriffe? Absolut. Es geht darum, dass die demokratischen Kräfte die Probleme klar benennen und bewerten, ohne beleidigend und verletzend zu werden. Es geht um klare Sprache, es geht um klare Positionen und natürlich geht es auch darum, wann immer es nötig ist, in derselben Klarheit dagegenzuhalten. Wo sind Sie am Samstag? In der ersten Reihe der Grünen in Kandel bei der Gegendemo. Aber schon um 12 Uhr am Landauer Bahnhof, da sammeln wir uns nämlich. 

Der 29-jährige Lukas Hartmann ist Grünen-Fraktionschef in Landau und wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Uni.
Der 29-jährige Lukas Hartmann ist Grünen-Fraktionschef in Landau und wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Uni.
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