Landau „Geht in Politikerschädel nicht rein“

„Ein Islam, der den Rechtsstaat nicht akzeptiert, gehört nicht zu Deutschland“, sagt Lale Akgün.
»Ein Islam, der den Rechtsstaat nicht akzeptiert, gehört nicht zu Deutschland«, sagt Lale Akgün.
Frau Akgün, der Islam hat keinen guten Stand in der westlichen Welt. Viele bringen ihn mit Terror, Unterdrückung und Hass in Verbindung. Ist diese Religion gefährlich?

Pauschal lässt sich das so nicht sagen. Es kommt darauf an, wie die Menschen den Islam leben. Dennoch verbreitet diese Religion Angst, aber nicht nur nach außen, sondern auch nach innen. In der Auslegung vieler Gelehrter spielt die Gottesangst eine wesentliche Rolle. Sie sagen den Menschen, dass Gott von ihnen erwarte, gewaltsam gegen Nichtgläubige vorzugehen. Das funktioniert, weil die große Mehrheit in den muslimischen Ländern nicht gebildet ist, viele sind Analphabeten. Da kann man den Menschen viel darüber erzählen, was angeblich im Koran steht. Das heißt: Die Interpretation des Glaubens liegt letztendlich in den Händen der Herrschenden, welche die Religion für ihre Zwecke missbrauchen. Und genau das ist der Teufelskreis. Manche sagen, der Islam bräuchte eine Aufklärung nach europäischem Vorbild. Könnte damit der von Ihnen angesprochene Teufelskreis durchbrochen werden? Natürlich braucht der Islam eine Reform. Er braucht dafür aber vor allem mutige Theologen, die dafür einstehen, dass wir den Koran heute nicht mehr wortwörtlich auslegen können, sondern ihn aus der Sicht der heutigen Zeit interpretieren müssen. Das Problem ist jedoch, dass diejenigen, die für einen modernen Islam werben wollen, von Orthodoxen unterdrückt und verfolgt werden. Deshalb müssen die westlichen Demokratien genau diese Theologen unterstützen, ihnen Schutz und Gehör verschaffen. Eine Aufklärung des Islams hieße auch: die Trennung von Staat und Kirche in den muslimischen Ländern. Ohne Säkularität geht nämlich gar nichts. Die Flüchtlingskrise hat die Debatte um den Islam verschärft. Für eine neue Eskalationsstufe hat kürzlich der Tod einer 15-Jährigen in Kandel gesorgt, die von einem jungen Flüchtling aus Afghanistan erstochen worden sein soll. Gibt es im Islam eine Kultur der Gewalt gegen Frauen? Ich komme wieder zum Anfang unseres Interviews zurück. Der Islam ist genauso modern oder unmodern wie die Menschen, die ihn leben. Ich bin jetzt seit 33 Jahren mit einem Moslem verheiratet und habe noch nie gesehen, dass er gegen irgendwen die Hand erhoben hat. Aber wir müssen auch klar sagen, dass sich bei manchen muslimischen Migranten eine patriarchalische Kultur mit der Religion zu einer unguten Mischung verbindet. Besonders in der Frauenfrage. Und das ist sehr gefährlich. Sie sind als Kind nach Deutschland gekommen, haben eine Bilderbuchkarriere hingelegt. Um es flapsig zu sagen: Sie sind eine Vorzeigemigrantin. Wie haben Sie sich integriert? Ich komme aus einer aufgeklärten Familie, ich musste mich nicht erst integrieren. Meine Mutter war Mathematikerin, mein Vater Zahnarzt, mein Großvater islamischer Gelehrter und Schulleiter. Letzterer war überzeugt, dass Frauen und Männer gleichberechtigt sind. Schon meine Großmutter trug kein Kopftuch. Das heißt: Ich habe einen liberalen Islam kennengelernt. Deshalb finde ich es bedauerlich, dass man von diesem in Deutschland so wenig mitbekommt. Leider ist es nicht bei allen so gelaufen wie bei Ihnen. Manche Migranten haben noch immer Probleme, sich an der Supermarktkasse zu unterhalten, obwohl sie seit Jahrzehnten hier sind. Ist die Integration in Deutschland gescheitert? So weit würde ich nicht gehen, weil ich sehe, dass viele den Willen zur Integration haben. Wir wären aber sicherlich weiter auf diesem Feld, wenn der Staat sich nicht die islamischen Verbände als Ansprechpartner ausgesucht hätte, denn diese haben die Integration aufgehalten. Ich bin Psychotherapeutin. Anfang der 1980er-Jahre habe ich Frauen erlebt, die mit Kopftuch aus Anatolien nach Deutschland kamen und zu mir sagten, hier wollten sie sich anders kleiden. Dann kamen die Islamverbände und meinten, das gehe nicht aus religiösen Gründen. Ich möchte deutlich sagen: Die Menschen sind oft weiter als die islamischen Verbände. Sie sind nicht die Vertreter der Muslime in Deutschland. Doch das geht in manchen Politikerschädel nicht rein. Am Wochenende gab es einen Anschlag auf eine Moschee in Baden-Württemberg. Die türkische Gemeinde spricht von Terror. Wenn deutsche Journalisten in der Türkei verhaftet werden, ist ein Teil der türkischen Gemeinde vergleichsweise stumm. Haben Sie dafür eine Erklärung? Viele Menschen haben Angst vor den Nachstellungen der türkischen Regierung, der lange Arm Erdogans reicht bis nach Deutschland. Sie haben Angst um ihre Verwandten in der Türkei, sie haben Angst vor Repressalien, sie haben Angst vor der Aus- und Einreise. Ich selbst reise deshalb auch nicht mehr in die Türkei. Wir haben in der Türkei inzwischen eine Diktatur, die mit jedem Tag repressiver wird. Nicht nur die AfD schlägt in Sachen Islam harte Töne an. Der Journalist Henryk M. Broder rügt regelmäßig die deutsche Politik, weil sie dem Islam einen kulturellen Kredit gewähre, ohne eine Gegenleistung zu verlangen. Gehen wir zu lasch mit muslimischen Einwanderern um? Nein, wir sind ein Rechtsstaat. Und der verlangt von keinem zu wenig und von keinem zu viel, das macht seinen Charme aus. Der Staat kann aber im Rahmen der Gesetze einiges verlangen. Er muss kontrollieren, was in den Koran-Schulen läuft, er muss verhindern, dass es die Vielehe gibt. Wir müssen auch über die Frage diskutieren, ob Mädchen unter 14 Jahren, also vor der Religionsmündigkeit, in der Schule ein Kopftuch tragen sollten. An einem Punkt gebe ich Broder recht: Fehlende Gleichberechtigung als kulturelle Bereicherung zu deklarieren, ist hanebüchen. In diesem Zusammenhang taucht auch immer wieder der Begriff der Leitkultur auf. Heißt: Zuwanderer müssen sich den hiesigen Spielregeln anpassen. Was bedeutet für Sie eine deutsche Leitkultur? Wissen Sie, ich finde diese Debatte albern. Wir leben in einer deutschen Leitkultur, weil wir in Deutschland leben. Es ist ein Land mit einer breiten, alten und wirkungsmächtigen Kultur. Die deutsche Kultur lässt sich doch nicht nivellieren. Wer das denkt, unterschätzt die deutsche Kultur. Wir müssen nur diejenigen im Zaum halten, die junge Menschen mit ihrem Hass vergiften. Aber ich erwarte auch gleichzeitig von der Mehrheitsgesellschaft, dass nicht permanent von Menschen mit Migrationshintergrund gesprochen wird, weil die meisten dieser Leute in Deutschland geboren sind. Wer Anpassung möchte, muss die Menschen annehmen. Und zwar als Teil der Gesellschaft. Gehört der Islam zu Deutschland? Der Islam gehört genauso zu Deutschland wie der Katholizismus, der Buddhismus oder der Atheismus. Wir leben doch in einer modernen Gesellschaft, dazu gehören eben auch die Menschen, die ihre Religionen und Weltanschauungen leben - aber bitte im Rahmen der Rechtsstaatlichkeit. Ein Islam, der das nicht akzeptieren kann, gehört nicht zu Deutschland. Info Lale Akgün diskutiert morgen, Donnerstag, 19 Uhr, in der Reihe „Angst und Politik“ der Landauer Akademiegespräche im Alten Kaufhaus mit Rolf Schieder, Professor für Theologie an der Berliner Humboldt-Universität, über das Thema „Angst vor der Religion“. Ausrichter sind die Evangelische Akademie der Pfalz, das Frank-Loeb-Institut an der Universität Koblenz-Landau und die Stadt. Um Anmeldung wird gebeten per Mail an akademiegespraeche@uni-landau.de. Kurzentschlossene sind auch ohne Anmeldung willkommen. Der Eintritt ist frei. | Interview: Andreas SchlickDOPPELTERZEILENUMBRUCH

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