Kultur Südpfalz Erinnerung an einen Unangepassten

Julie Freestone und Rudi Raab leben heute in Kalifornien.
Julie Freestone und Rudi Raab leben heute in Kalifornien.

Was für ein Paar, was für eine Geschichte: Rudi Raab, Deutscher, geboren in Hamburg, Sohn eines hochrangigen Nazi-Offiziers. Julie Freestone, Jüdin, Tochter einer osteuropäischen Einwandererfamilie, geboren in der Bronx. Ein Wunder, dass die beiden zueinander gefunden haben. Und wunderbar ist, dass sie zusammen ein anrührendes und zugleich beklemmendes Buch geschrieben haben, das deutsche Vergangenheit ganz persönlich erzählt – als Familiengeschichte. Es ist die Geschichte eines Mannes, der im Dritten Reich dem Sieg-Heil-Rausch verweigert und bitter dafür bezahlt hat. „Der Stolperstein“ heißt das Buch und die beiden Autoren, 72 und 73 Jahre alt, die in Kalifornien leben, haben es im Frank-Loebschen Haus vor rund zwei Dutzend Zuhörern präsentiert. Veranstalter waren der Verein Kulturzentrum Altstadt und das Frank-Loeb-Institut der Universität. „Es ist ein fiktives Werk“, stellt Rudi Raab zu Beginn klar, „elf bis 15 Prozent stimmen nicht, der Rest ist unsere Liebesgeschichte und die Geschichte hinter dem Stolperstein.“ Auf der Leinwand erscheinen Familienfotos mit Patina: die Vermählung seiner Eltern, „eine perfekte Nazi-Hochzeit“. Erinnerung an die Schule in der Nachkriegszeit: Dort lernt Rudi, dass er als Deutscher, acht Tage nach Kriegsende geboren, eine „Gesamtschuld“ trage. Wenig später am Mittagstisch schwadroniert dann der Vater über die glorreiche Zeit des Dritten Reichs. Julies Vater ist auf der anderen Seite. Er kümmert sich im Auftrag der US-Armee um KZ-Überlebende, sucht nach ihnen und bringt sie in die Vereinigten Staaten. 1989 haben die beiden sich getroffen – sie Journalistin, er Polizist. Es folgen lange schwierige Gespräche. Julie habe gar nicht mehr aufgehört, Fragen zu stellen. Was sein Vater denn gemacht habe als hochrangiger Nazi? Antwort: „Ich habe nicht die geringste Ahnung, in was er verwickelt war.“ Irgendwann kommt das Gespräch auf einen Onkel, den Bruder des Vaters. „Der galt als missraten, als schwarzes Schaf und Unruhestifter. Ich weiß nicht, was aus ihm geworden ist“, sagt Rudi damals. Einer, der nicht mitmarschiert ist, war er jedenfalls, der auch den Hitlergruß verweigert hat. Julie Freestone schlägt vor, sich auf die Suche nach Gerhard Raab, diesem Onkel, zu machen. Die Suche führt das Liebespaar in den Speicher des großväterlichen Hauses in Leipzig, wo zwischen alten Kleidern und Zeitungsstapeln gelbliche Postkarten zum Vorschein kommen. Absender: KZ Buchenwald. Neben Auszügen aus der Lagerordnung ist Platz für ein paar Sätze des Häftlings Gerhard Raab. Er deutet nur an, was ihm geschieht: die Brille zerschmettert, die Zähne eingeschlagen. Julie und Rudi reisen weiter nach Buchenwald, wo sie Gewissheit erlangen: Der Rebell, der sich den Mächtigen widersetzt hat, ist ermordet worden. Zuletzt ein Besuch beim Vater, doch ein ehrliches Gespräch kommt nicht zustande. Das Paar hört nur Ausflüchte und Lügen. Am Schluss der Präsentation erscheint ein altes Passfoto auf der Wand: Gerhard Raab schaut die Zuhörer an, ein ernster junger Mann mit traurigen Augen hinter der Brille. Rudi Raab erzählt abschließend, warum das Buch „Der Stolperstein“ heißt. In seiner Familie war überlegt worden, einen Stolperstein für den ermordeten Onkel zu stiften. Doch er und Julie Freestone haben einen Gegenvorschlag: „Seine Geschichte aufzuschreiben, das würde ihm ein Denkmal setzen.“ Begleitet war die eindrucksvolle Buchpräsentation von ebenso außergewöhnlicher Musik. Rebecca Rust, Cello, und Friedrich Edelmann, Fagott, spielten ein Werk, das der israelische Komponist Max Stern für sie komponiert hat, und das den Aufstieg zum Berg Zion beschreibt. Die beiden Berufsmusiker, die in Rhodt wohnen, werden die Buchtournee durch ganz Deutschland begleiten. Es gibt noch 15 bis 20 Termine. Info Der-Stolperstein.de

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