Kultur Südpfalz Ein Kraftmeier zerbricht

Klaus Cokalka-Adami begeistert als Joe Atlas.
Klaus Cokalka-Adami begeistert als Joe Atlas.

Ein ganz toller Hecht, dieser Joe Atlas. Einer, der nicht untergehen kann – oder jedenfalls nicht untergehen will. Von ihm und seinem letzten Kampf handelt das tragikomische Stück „Der stärkste Mann der Welt“ des US-Dramatikers Noah Haidle, das am Samstag am Karlsruher Staatstheater uraufgeführt wurde. Der Titan Atlas, der in der antiken Mythologie die Himmelskugel auf seinen Schultern trägt, gilt als Inbegriff übermenschlicher Kraft. Im Hochgefühl seiner Stärke ist er freilich auch ein bisschen blöde, denn er lässt sich vom pfiffigen Herkules austricksen. Die schöne Episode lehrt, dass Macht und Kraft ohne Geist nicht ewig währen und sich am Ende selbst zu Fall bringen. Joe Atlas mag der Stärkste (gewesen) sein. Aber der Hellste ist er nicht. Und so merkt er nicht, dass die Welt sich verändert hat. Stur besteht er auf seiner ehernen Dominanz auch als Familienpascha. Als seine Tochter Artemis, die zu seinen Glanzzeiten als Tingeltangel-Kraftprotz als seine schrille Assistentin gearbeitet hat, heiraten will und sich ausgerechnet seinen „Schüler“ Ricky als Ehemann ausgesucht hat, dreht er durch. Unbedingt will er diese schmähliche Hochzeit verhindern, kettet sich an die Sonne und will mit schierer Kraft den Lauf der Welt anhalten. Aber Joe scheitert. Am Tag der Hochzeit bricht seine Lebenslüge zusammen, obwohl er sich mit aller Gewalt daran klammert. Sein Niedergang wird offenbar: Seine Show-Karriere ist seit zehn Jahren vorüber, sein Ruhm als Muskelkerl gründet sich auf Betrügereien, die Engagements auf den Schaubühnen der Welt bleiben längst aus, seine Frau Diana hat ihn verlassen, die Tochter läuft ihm mit einem jüngeren Konkurrenten davon, er ist überschuldet, sein großspuriger Lebensstil wird von seinem Sohn Apollo finanziert, und seine gewitzte Helferin Denise, die er hartnäckig Athene nennt, sticht ihn aus. Am Ende ist er allein und gebrochen, gurgelt Blut und stammelt sich in den Tod. Ein trauriges Ende für einen aufgeblasenen Popanz, der zwischen Rührung und Lächerlichkeit schwankt und als Schatten seiner selbst untergeht. Schon die Überhöhung dieser unseligen Familientragödie zu mythischer Größe, die sich in den antikisierenden Pseudonymen andeutet, ist kaum mehr als ein groteskes Possenspiel, das den Keim zum Bankrott in sich trägt. Joe ist in seiner verblendeten Anmaßung ein Spottbild leerer Autorität, und doch bewahrt er sich den Anspruch auf Mitleid, denn bei aller Unausstehlichkeit und Verbohrtheit ist er doch auch in der Vergeblichkeit seines Aufbegehrens immer noch sympathisch. Autor Haidle hat mit der satirisch zugespitzten Geschichte über den Absturz seines Helden eine Parabel über die Gültigkeit von überholten Familienmustern geschrieben. Hinter den Fassaden scheint die Brüchigkeit der fragwürdigen Realität durch, und der unverbesserliche Patriarch Joe steht für die Hinfälligkeit aller Größe. Dieser Niedergang wird in einer wirkungsvollen Mischung aus trockenen Dialogen, turbulenten Kämpfen und pathetischen Ausbrüchen erzählt. Vor allem aber bietet das Stück mit seiner Titelfigur eine dankbare Glanzrolle, in der Klaus Cokalka-Adami alle Register seines darstellerischen Könnens ziehen kann. Dabei gelingt ihm das Porträt des unkaputtbaren Egoisten und manischen Aufschneiders in kräftigen Farben. Aufsteigende Ahnungen Joes vom unausweichlichen Verfall deutet er in pointierten Momenten der Verzweiflung und psychologischer Vertiefung an, aber das einstige Potenzial des Supermanns beschränkt sich unbeglaubigt auf die kraftmeiernde Allüre. Neben dieser beherrschenden Figur bleiben die übrigen Rollen eher schemenhaft. Immerhin steuert Swanda Rode dem 90-minütigen Abend als naive, unvermutet auftrumpfende Denise/Athene durch virtuose Beiträge und hohe komische Begabung einige nachhaltige Momente bei. Heisam Abbas ist ein resoluter Bräutigam Ricky von lodernder, vitaler Energie. Anna Gesa-Raija Lappe als ausstiegswillige Tochter Artemis, Claudia Hübschmann als abgeklärte Ex-Gattin Diana und Alexander Küsters als gedemütigter Sohn Apollo sind kaum mehr als Sparringspartner für den entfesselten Autokraten Joe. Regisseurin Christina Paulhofer verlegt sich (auch in ihrem Bühnenbild) auf knallige Szenen, robuste Schockeffekte, makabren Witz, handfestes Action-Theater und mit breitem Stift ausgemaltes Spektakel, zu dem die bizarren Kostüme von Sylvain Jacques ergänzende Akzente setzen. Das Publikum genoss das tempo- und pointenreiche Spiel, ließ sich bereitwillig auf die bunte Oberfläche der Einstudierung ein und honorierte die Uraufführung mit herzlichem Beifall. Termine Nächste Aufführungen am 8. Dezember sowie am 1. und 10. Januar. Karten unter Tel. 0721 933333 sowie im Internet: www.staatstheater.karlsruhe.de

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