Kultur Südpfalz Ein Abend Lachen, ein Abend Konzentration

Gummiartige Wesen greifen in dem Stück „Blind“ aus einem Mann heraus.
Gummiartige Wesen greifen in dem Stück »Blind« aus einem Mann heraus.

Eine großartige, anarchistische und zutiefst ironische Einfrau-Performance mit musikalischer Begleitung eröffnete das 13. Figurentheater-Festival Marottinale am Donnerstag im Karlsruher Figurentheater Marotte. Es war ein Höhepunkt des Karlsruher Kulturjahrs. Natascha Gundacker vom Theater Gundßerg aus Österreich, auf der Gitarre von Joachim Berger begleitet, zog in dem Stück „Agathe Notnagl und ihr Herr Nachbar“ alle kabarettistischen Register.

Vom entlarvenden Stottern eines Werner Finck über Heinz-Erhardt`sche Kalauer und Wortspiele bis hin zum puren Slapstick, einer abstrus übertriebenen, verklemmten, haspeligen Körpersprache und grandios grotesker Mimik war alles dabei. Zwischendurch ließ sie Seifenblasen auf ihre Kleidung, den Holzstuhl und, weil es um „die Pflege glatter Flächen“ geht, auch auf die Glatze des Gitarristen Joachim Berger segeln. Ein Programm, das zwei Stunden ununterbrochenes Lachen auslöste und auch philosophisch-genderinkorrekten Hintersinn hatte. „Ich bin in Hochformat“, sagt Agathe Notnagl, die kleine Dame mit dem lila Hütchen und dem geblümten Zweiteiler, und das ist auch gut so. Denn sie musste kurzfristig einspringen, und so gibt sie ihr Bestes, um das Publikum zu unterhalten. Und da die Aufführung am „Tag der Frau“ war, präsentierte sie Themen, „die besonders Frauen interessieren“, aber auch „interessant sind für den gleichberechtigten Mann“. Aufgeregt ist sie, haspelt sich durch die Sätze, zupft an ihrer Bluse, hampelt hin und her, verdreht ihre Beine und hüppelt über die Bühne. Beendet sie auch mal einen Satz richtig? Kaum. Immerhin versucht sie, gendermäßig einigermaßen korrekt zu sein, sagt dann auch „Mannin“ und stottert sich sogar bis zum Wort „Frauin“. Agathe Nothnagl gibt Statements „zur Lage der Frau“ ab. Und das sind bei ihr vor allem Tipps zur Möbel- und Körperpflege, denn das sei ja wichtig für die moderne Frau. Dann legt sich Agathe zwei Gurken auf die Augen, und als eine polternd herunterfällt, gesteht sie, dass das nur Attrappen sind, „damit sie … äh … nicht so … matschig…“, und lässt das Ende des Satzes virtuos im Nichts verhallen. Es folgen Zitronenscheiben und Knoblauch. Nicht immer angenehm, aber wirksam, meint sie. Es müsse halt sein. Dann erklärt sie, dass es auch bei Frauen Oberschicht und Unterschicht gibt, deutet dabei auf ihre Bluse und zeigt kurz ihre knallrotbunte Unterwäsche. Zwischendurch wird sie aber müde und meint, sie „begähne sich in die Senkrechte“. Und macht dabei eine waagerechte Geste. Im Tollhaus ging das Festival Marottinale am Freitag mit einem Kontrastprogramm weiter: kein Lacher war zu hören, stattdessen staunende, angerührte und oft auch gänsehäutige Konzentration zu spüren. Ilija Surla von der holländischen Duda Paiva Company spielte in dem Stück „Blind“ einen Mann, der übersät war von großbeuligen Zysten. Als er sich kratzt, schlüpfen nach und nach gummiartige, menschengroße Wesen aus ihm heraus. Bei einer barbusigen Heilerin mit einem kahlen Kopf findet er kurzfristig Trost. Mit einem der schlanken, biegsamen gummiartigen Wesen, das blind ist, freundet er sich an. Erkundet tastend mit ihm die Welt, hilft ihm, als es sich in aufgespannte Fäden verwickelt und nicht mehr herauskommt. Aber ein anderes der neugeborenen Wesen beschimpft seinen Artgenossen, tötet ihn schließlich. Und in einem fulminanten Kampf Mensch gegen Wesen stirbt dann auch der Böse. Virtuos und mit vollem, auch akrobatischem Körpereinsatz hantiert Surla mit den großen Handpuppen aus Schaumstoff, tanzt mit der Schamanin, kost mit der Guten, kämpft mit der Bösen. Er spricht nur wenige richtige Worte, dafür jault, summt, singt und brummt er, lässt die Heilerin in einer Kunstsprache reden, ist zart und aggressiv, leise und heftig. Unterstützt von Sound, Musik und ständig wechselndem Licht erschafft er eine physisch und emotional bedrängende Welt voller Schmerz, Verlust, Angst und Hass, Magie und Heilung, Verlassenheit und Zärtlichkeit, die niemanden kalt lässt.

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