Landau Der Frust kommt vorm Backregal

Gute Logistik gefragt: Zum Unverpackt-Laden im 60 Kilometer entfernten Landau nehme ich Schachteln, Dosen und Gläser zum Abfülle
Gute Logistik gefragt: Zum Unverpackt-Laden im 60 Kilometer entfernten Landau nehme ich Schachteln, Dosen und Gläser zum Abfüllen mit. Der Vorteil hinterher: Ich muss nichts mehr in Vorratsgefäße umfüllen.

Eins vorweg: Meine Mülltonnen sind nicht leer. Obwohl ich mich seit über einem Jahr bemühe, vor allem weniger Plastikverpackungen einzukaufen, füllt sich der Gelbe Sack alle sechs bis acht Wochen doch. Den Satz, den ich in vielen Ratgebern zum Thema Abfallvermeidung gelesen habe, dass ein Leben ohne Verpackungsmüll problemlos in einen Arbeitsalltag zu integrieren ist, kann ich nicht unterschreiben. Um mit weniger Drumherum auszukommen, sind nach meiner Erfahrung mehr Geld, mehr Zeit und gute Nerven notwendig. Das Einkaufen ist häufig frustrierend, weil vieles von der Liste hier in der Region einfach nicht unverpackt zu bekommen ist. Wenn es dann doch gelingt, ist das Glücksgefühl umso größer. Dennoch ist das Ziel, Abfall zu vermeiden, eines, das mich antreibt. Mindestens reduzieren will ich Plastik, Dosen, Papier und Co.. Daher habe ich für diesen Text auch acht Tage lang noch genauer darauf geachtet, wo ich Abfall produziere. Mittwoch Ein schöner bunter Berg liegt vor mir auf der Arbeitsfläche der Küche: orangene Karotten- und braune Kartoffelschalen, die dunkelrote Haut einer Zwiebel, die weiße, runzlige Schale einer Knollensellerie. Alles Kompost, freut sich mein Gärtnerherz. Gekauft hatte ich das Gemüse tatsächlich alles unverpackt, wenn auch nicht in Bioqualität. Ware aus biologischem Anbau ist in den Supermärkten in der Umgebung ausschließlich in Plastik erhältlich und auf dem Landstuhler Wochenmarkt gibt es nur konventionell angebaute Feldfrüchte. Extra nach Kaiserslautern zu fahren, um dort im nächstgelegenen Biosupermarkt einzukaufen, halte ich ökologisch nicht für sinnvoll. Ebenfalls keine gute Ökobilanz weist die Weißblechdose auf, in der ich die Kokosmilch gekauft habe, die ich neben dem Gemüse für die Suppe benötige. Aus diesem Dosenschrott wird, nach allem, was ich gelesen habe, nie wieder eine neue Dose, sondern nach Verbrennung und magnetischer Aussonderung eine Beigabe in der Stahlproduktion. Um solchen Müll zukünftig zu vermeiden, bleibt wohl nur, auf Kokosmilch zu verzichten. Donnerstag Alle guten Vorsätze, so wenig Müll wie möglich zu produzieren, werden an diesem Morgen die Toilette hinuntergespült. Ein Magen-Darm-Virus in der Familie veranlasst mich, Zwieback und Reis zu kaufen, um magenschonende Kost zubereiten zu können. Die Reisvorräte, die komplett verbraucht sind, sollten eigentlich erst am Samstag beim Einkauf im Unverpackt-Laden aufgefüllt werden – der nächste befindet sich allerdings in 60 Kilometern Entfernung. Jetzt also kaufe ich Bioreis vor Ort, dafür in einer Plastiktüte und das doppelt gebackene Brot in zwei separaten Plastikverpackungen, die sich wiederum in einer Pappschachtel befinden. Die Alternative, den Zwieback selbst zu backen, lässt sich heute zeitlich nicht in meinen Arbeitstag integrieren. Denn feststeht: Wer Verpackung sparen will, braucht mehr Zeit. Gerichte, die gemeinhin als schnell zuzubereiten gelten wie zum Beispiel Nudeln, können halbe Vormittage in Anspruch nehmen, wenn der Teig selbst angerührt werden muss. Freitag Es ist Markttag in Landstuhl und das bedeutet: Ich gehe Käse einkaufen. Denn die Käsefrau dort verkauft mir ihre Ware direkt in die von mir mitgebrachten Gefäßen. Ich stelle eine Riege davon auf die Theke und Parmesan, Tilsiter und Weichkäse mit Kräutern wandern nach dem Abwiegen ohne folienbeschichtetes Papier hinein. Abgesehen davon schmeckt der Käse auch ganz hervorragend, einige Sorten sind aus biologischer Produktion und die Standinhaberin ist kompetent und freundlich. Fällt der Markt einmal aus, muss ich verpackten Käse kaufen. Denn kein Supermarkt in der näheren und weiteren Umgebung hat ihn mir bislang auf Nachfrage unverpackt überlassen. Dabei ist es in Deutschland erlaubt, mitgebrachte Gefäße auf die Theke zu stellen. Die Verkäufer dürfen diese nur aus hygienischen Gründen nicht entgegennehmen und auf ihrer Arbeitsfläche oder Waage abstellen. Samstag Dosen aus Blech und Kunststoff, Gläser in allen Formen und Größen sowie Papiertüten stapeln sich in meiner Einkaufskiste – und das schon, bevor ich überhaupt zum Einkaufen gestartet bin. Der Unverpackt-Laden in Landau ist heute mein Ziel. Hin und zurück 120 Kilometer zurückzulegen, nur um ein paar Verpackungen einzusparen, erscheint mir aus Umweltschutzgründen nicht richtig, aber die Neugier, wie es sich in einem solchen Geschäft einkauft und die Recherche für diesen Artikel treiben mich um. Und das Einkaufserlebnis ist durchaus die Reise wert. Groß ist der an diesem Vormittag gut besuchte Laden nicht und parken kann ich auch nicht in der Nähe – zum Einladen dürfte ich immerhin mit dem Auto vorfahren –, aber das Abfüllen von Müsli und Nüssen, Linsen und Backpulver in die eigenen, vorher ausgewogenen Gefäße macht Spaß. Es erinnert mich an das Kaufladenspielen in meiner Kindheit. Auch damals habe ich es geliebt, Reiskörner oder Liebesperlen in die kleinen Schütten rieseln zu lassen. Alles, was auf meiner Liste steht, bekomme ich aber nicht: Mandeln sind zum Beispiel aus, Gesichtscreme ebenso wenig im Sortiment wie frische Produkte aus Milch. Beim Nachhausefahren kommt mir der Gedanke, dass Kunden, die unverpackt einkaufen wollen, gute Logistiker sein müssen. Immerhin: Zuhause wandern die Gläser und Dosen mit Mehl, Cerealien und Rosinen unmittelbar in die Speisekammerregale, ein Umfüllen ist ja nicht mehr nötig. Montag Geräuschlos läuft die Milch in weißem Strahl in meine ausgekochte Glasflasche. Ich teste den Milchautomaten, der seit Kurzem in einem Ramsteiner Supermarkt steht. Aufgestellt hat ihn die Familie Brassel, die in Albessen (Kreis Kusel) einen Bauernhof betreibt. Ein Biobetrieb ist es nicht, aber gentechnisch verändertes Futter lehnen Brassels ab. Die Kühe stehen in einem voll automatisierten Freilaufstall, in dem sie von einem Computer gemolken werden. Ihre Milch schmeckt gut, aber für mich und meine Milchkanne ist Ramstein ein Extraweg, den ich zukünftig nicht jede Woche in Kauf nehmen möchte. Dienstag Advent und Weihnachten rücken näher, Zeit, ans Plätzchenbacken zu denken. Mandeln, Marzipan, Schokolade, Kuvertüre, Lebkuchengewürz, kandierte Früchte und Macadamianüsse brauche ich dafür. Die Mandeln hatte ich ja in Landau kaufen wollen, wo es aber keine mehr gab, an das Gewürz habe ich nicht gedacht, Kandiertes dort nicht entdeckt. Also stehe ich jetzt vor dem Backzutatenregal und habe die Wahl zwischen Plastik und Plastik. Jede Menge Verpackungsmüll liegt am Ende in meinem Einkaufskorb. Mein Gewissen meldet sich, aber zum Verzicht auf Hildabrötchen, Zimtsterne und Dominosteine kann ich mich dann doch nicht durchringen. Einziger Lichtblick: Beim Bäcker landen die Brote anstandslos in dem von mir mitgebrachten Baumwollbeutel. Mittwoch Heute ist Waschtag und ich fülle Ökowaschpulver aus einem Pappkarton in die Maschine. Von dem selbsthergestellten Mittel aus Kernseife, Waschsoda, Lavendelblüten und Orangenschale sowie Wasser bin ich aufgrund eines nicht so frischen Geruchs der Wäsche wieder abgekommen. Auch der Zusatz von Essigessenz führte nicht zu einer entscheidenden Verbesserung. Als die erste Wäscheladung läuft, setze ich Flüssigseife fürs Büro an. Auch hierfür kommt Kernseife zum Einsatz, aber im Gegensatz zum Waschmittel bin ich mit dem Resultat, das ich in die schon vorhandenen Kunststoffspender fülle, ganz zufrieden. Auch das feste Shampoo in Seifenform, in Papier verpackt, erfüllt seinen Zweck. Noch auf der Suche nach der besten Strategie bin ich hingegen in Sachen Zahnpasta. Es gibt sie in Kunststoff- oder Aluminiumtuben mit ganz schlechter Ökobilanz, mit und ohne Fluorid, als Zahnputztabletten für mehr Geld oder aus den Do-it-yourself-Küchen der Zero-Waste-Gemeinden im Internet. Aber ist diese selbst hergestellte Zahnpasta wirklich gut für die Zahngesundheit? Bilanz Ich habe es am Anfang schon geschrieben: Abfallfrei zu leben, schaffe ich nicht. Reduziert habe ich den Müll, der täglich anfällt, aber schon, in einigen Bereichen sogar deutlich. Und beim Sortieren der Kugelschreiberschublade habe ich festgestellt: Ich brauche in den nächsten Jahren keine neuen Stifte. Der Preis, den ich für das Weniger zahle, ist jedoch nicht gering: Zum einen muss ich mehr bare Münze ausgeben, denn Produkte ohne oder mit reduzierter Verpackung kosten oftmals mehr als aufwendig Verpacktes. Nur mit einer Papierbanderole zusammengehaltene Toilettenpapierrollen kosten beispielsweise mindestens das 2,5-Fache von herkömmlichen in Plastik. Zum anderen strapaziere ich meine Nerven auf der Suche nach verpackungsfreien (Bio-)Produkten. Das Angebot daran scheint mir in vielen anderen Teilen Deutschlands größer zu sein. Drittens investiere ich mehr Zeit, weil ich etwa Gnocchi und Flüssigseife jetzt selbst herstelle. Das gute Gefühl, einen, wenn auch ganz kleinen, Beitrag zum Umweltschutz zu leisten, lässt mich aber bislang durchhalten. Als anstrengend empfinde ich das achtsame Einkaufen jedoch schon. Leicht gemacht wird einem das Abfallvermeiden nicht. Info —Die Europäische Woche der Abfallvermeidung hat am Samstag, 18. November, begonnen und läuft bis Sonntag. Das Motto lautet in diesem Jahr „Gib Dingen ein zweites Leben“. Damit soll Werbung für das Reparieren und Tauschen gemacht werden. —Weitere Informationen gibt es unter www.wochederabfallvermeidung.de.

x