Kultur Südpfalz Das desillusionierte Theater

Hinter die Kulissen in einem vieldeutigen Sinn führt das Stück der „Familie Flöz“, die dafür in Landau einmal mehr gefeiert wurd
Hinter die Kulissen in einem vieldeutigen Sinn führt das Stück der »Familie Flöz«, die dafür in Landau einmal mehr gefeiert wurde.

„Teatro Delusio“: Dieser facettenreich interpretierbare, unterbewusst schon weite Gefühlswelten auslotende Titel – gemeint ist ein Theater, das sich und seine Mittel entlarvt, also Desillusion statt Illusion bietet –, ist Programm. Ganz ohne Worte, aber mit viel Musik und Gesten entführen drei Akteure auf die Hinterbühne eines Theaters, das zum großen Schauplatz des eigentlichen Geschehens wird. Theater, na klar! Das gibt es bei diesem fantastischen Bühnenstück, das die in Berlin beheimatete Familie Flöz schon 2004 in Kooperation mit dem Theaterhaus Stuttgart herausbrachte und nun im Dreierverbund mit Arena Berlin weiterführt, in fast allen erdenklichen Facetten: vom Puppenspiel über Akrobatik, Slapstick und Pantomime bis hin zu rasanten Rollenwechseln und Special Effects. Nicht zu vergessen, dass die drei sichtbaren Akteure unter der Regie von Michael Vogler dabei ausnahmslos mit Gesichtsmasken spielen, die von Hajo Schüler so kunstvoll gestaltet wurden, dass man als Zuschauer glaubt, sie könnten ihre fixe Mimik eben doch verändern. Theater also vom Feinsten – und wenn man schon mal italienische Bühnenarbeiter bei der Ausübung ihres Handwerks beobachtet hat, darüber staunte, wie sie singend und gestikulierend mit Kabeln und Holzbrettern hantieren, dann versteht man sofort, warum dieses Stück, bei dem die Bühnenarbeiter Bob, Bernd und Ivan die Hauptrolle spielen, einen italienischen Hauch bekommen hat. Aber warum Delusio? Wo dem Publikum doch so unglaublich viel Illusion vor Augen geführt wird? Wo sich drei Schauspieler in Windeseile in etwa 30 Figuren verwandeln? Weil jede einzelne Figur ihre eigene Tragik, das ganze Geschehen eine melancholische Dramatik und die eigentlich einfache Handlung manchmal – wenn der dicke Ivan beispielsweise plötzlich Zwillinge entbindet – sogar surreale Dynamik hat. „Teatro Delusio“ entfaltet all diese Facetten mit viel Sympathie für sämtliche Personen, die in die Handlung involviert sind. Es ist aber zugleich ein entlarvendes Maskentheater, das die Welt auf den Kopf stellt, so wie die Leiter, in der sich Bernd verfängt und flugs vom Ivan umgedreht wird, damit der Verhedderte kopfüber, kopfunter herausfallen kann. Die Szene ist so witzig verquer wie der ganze Plot. Denn die große Oper findet – für die echten Zuschauer unsichtbar, aber von einem imaginären Publikum bejubelt – auf der anderen Seite statt. Sie ist für Bob, Bernd und Ivan, obwohl sie doch so nahe dran sind, eine unerreichbare Welt, aus der manchmal ein Körnchen für sie abfällt. Es ist lustig und traurig zugleich, wie sich die Musiker und Sänger, die Tänzerinnen und sogar die Intendanz in typischer Klischeehaftigkeit und prächtigen Kostümen (Eliseu R. Weide) in munterem Reigen immer wieder hinter der Bühne verfangen, mal ein Requisit, mal einen Kaffee verlangen oder einen Blick in den Spiegel werfen, um sich dann mit Inbrunst ins Scheinwerferlicht zu stürzen. Und es ist beeindruckend, wie charismatisch die Bühnenarbeiter darauf reagieren und sich immer mehr in ihren eigenen Sehnsüchten verfangen. Der ängstliche Bernd verkriecht sich am liebsten in die Literatur, verliebt sich dann aber in eine verzweifelt verspätete, dann auch noch verletzte Ballerina. Der energische, geltungssüchtige Bob wäre am liebsten selbst ein Opernstar und übt die großen Rollen samt Säbelszene für sich allein im Karaokestil. Und Ivan, der Chef, versucht cool zu bleiben und den Überblick zu bewahren, wird aber schon von einer roten Rose in seiner kräftigen Hand aus der Fassung gebracht. Allen begegnet ein geheimnisvolles, von gleißend weißem Licht umhülltes Wesen, das tatsächlich nicht aus Fleisch und Blut ist und nur durch Menschenhand lebendig werden kann. Mag sein, dass diese Gestalt die Transzendenz zwischen Traum und Wirklichkeit beschreibt. Vielleicht ist sie aber auch das Sinnbild für Theater und Magie schlechthin. Denn mit ihr beginnt und endet das vielfach preisgekrönte „Teatro Delusio“, das auch 14 Jahre nach seiner Premiere mit ungebrochener Kraft Gefühle berühren und Sinne verzaubern kann.

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