Landau Altes Werkzeug mit Kultstatus

Die drei kleinen Sesel benutzt Leo Berg noch im Alltag, die Sesel-Figur wies einst auf einen Winzer- und Küferbetrieb hin.  Foto
Die drei kleinen Sesel benutzt Leo Berg noch im Alltag, die Sesel-Figur wies einst auf einen Winzer- und Küferbetrieb hin.

Gibt es das noch: Nach dem Sesel, dem alten Winzermesser, hatten wir vor zwei Wochen in der Rubrik „Gibt es das noch?“ gefragt. Die Lösung ist einfach – das Sesel ist entlang des Haardtrands noch durchaus präsent. Zwar wird in den Weinbergen mittlerweile mit moderneren Hilfsmitteln geschafft, als Ausstellungs- und Sammlerstück ist es aber ebenso beliebt wie als Gartenhelfer.

Groß war die Resonanz auf den Aufruf in Marktplatz regional. Wir wollen deshalb die Vielzahl der Zuschriften zusammenfassen, die uns zum Sesel erreicht haben.

„Die drei Sesel sind auch heute noch immer wieder für alles Mögliche in Gebrauch. Die 31 Zentimeter hohe Skulptur ist mit der Jahreszahl 1976 versehen und stand früher in einem Holzfassboden hinter Glas, der an der Hausfront befestigt war und auf einen damaligen Winzer- und Küferbetrieb hinwies“, schreibt Leo Berg aus Schweigen-Rechtenbach.

„Meinem lieben Nachbarskind Stella Marie habe ich das kleine Sesel geschenkt, weil sie so gern im Garten hilft“, schreibt Anita E. Farris aus Landau: Ihr eigenes Sesel stamme aus Familienbesitz, das kleine Sesel habe sie auf einem Flohmarkt entdeckt und für die Tochter ihrer Nachbarn gekauft.

„Ein Sesel besitze ich auch noch. Fast täglich habe ich das Winzermesserchen in der Hand“, schreibt Friedrich Wolf aus Landau: Es sei ein fester Bestandteil seines „Kordelkörbchens“: „Bei Anbindearbeiten im Garten ist es ein sehr gutes Werkzeug. Die Klinge besteht aus einem recht guten Werkzeugstahl; das hat das Funkenbild eine Schleifprobe ergeben. Es ist immer rasiermesserscharf und hält die Scheide außerordentlich lange. Das Sesel stammt aus Birkweiler von meiner 1888 geborenen Großmutter.“

„Das „Sesel“ ist ein seit rund 2500 Jahren in Gebrauch befindliches Arbeitsgerät im Weinbau. Bassermann-Jordan hat in seiner 1923 erschienenen „Geschichte des Weinbaus“ schon sehr ausführlich und genau über das „Sesel“ berichtet. Es war ein Universalgerät, welches das ganze Jahr für viele verschiedene Arbeiten gebraucht wurde. Natürlich wurde das Sesel auch für andere landwirtschaftliche Arbeiten benutzt, denn der Bauer hatte es immer in seiner Hosentasche dabei und somit griffbereit. In unserer Familie hat sich ein Sesel erhalten, dass sehr wahrscheinlich aus dem Jahre 1910 stammt. Es ist von meinem Urgroßvater Georg Jacob Guth aus Zeiskam, er war Wirt im „Gasthaus zum Pflug“, Landwirt und Winzer. Auf dem Bild hält mein Enkel das „Sesel“ seines Ur-ur-ur-Großvaters in seiner Hand im Weinberg, wo es am meisten benutzt wurde, schreibt Karl Guth aus Hochstadt.

In Rhodt hat das Sesel einem Gasthaus den Namen gegeben

Offene Türen hat der Aufruf im Marktplatz regional im Gasthaus Sesel in Rhodt: „Als wir letzte Woche die RHEINPFALZ aufgeschlagen und Ihren Aufruf gesehen haben, haben wir uns sehr gefreut und finden dies eine sehr gute Idee – schließlich gab das Winzerwerkzeug unserem Gasthaus seinen Namen“, schreibt Sonja Schäfer, Gastgeberin im Hotel Alte Rebschule und Gasthaus Sesel. „Wir verfügen als ehemalige Winzerfamilie nicht nur über eine stattliche Sammlung alter Rebmesser, Sesel genannt. Auch unser beliebtes Gasthaus Sesel trägt diesen Namen, dessen Bedeutung meist nur Winzer und ältere Menschen hier von der Haardt kennen. Unsere Sesel-Küche ist allerdings nicht von gestern: Von typisch pfälzisch bis ausgewogen, leicht und gesund verwöhnt das Sesel-Team Hotelgäste, Wanderer und Radler – und erklärt neugierigen Besuchern immer wieder gerne die Herkunft des ungewöhnlichen Namens“, schreibt Schäfer und schickt eines der zahlreichen Fotos der im Familienbesitz befindlichen Sesel mit.

„In Neupotz hat sich eine Gruppe zusammengefunden, die sich mit dem alten Korbmacherhandwerk auseinandersetzt. Zum Flechten müssen die Weiden zurechtgeschnitten oder angespitzt werden. Dazu braucht man ein Sesel“, schreibt Florian Bellaire aus Neupotz. Das Korbmachen habe in Neupotz Tradition, in vielen Familien habe es vor einigen Generationen Korbmacher oder -händler gegeben. „Heute gibt es nur noch einen aktiven älteren Korbmacher. Damit das Handwerk nicht in Vergessenheit gerät, beschäftigt sich eine Gruppe des Fördervereins Museum Neupotz mit dem Erhalt. In der Werkstatt gibt es daher noch Sesel als traditionelles Werkzeug. Einige davon waren Geschenke von Bürgern, die zuhause keine Verwendung mehr hatten“, so Bellaire weiter.

„In meinem Elternhaus in Venningen haben wir drei Sesel aufbewahrt. Meine Mutter, Elisabeth Wintergerst, ist mit 97 Jahren die älteste Bürgerin des Weinbauorte. Mit dem Sesel, welches sie in der Hand hält, hat sie noch in den 1970er-Jahren im Wingert gearbeitet. Es hat eine etwas längere gebogene Klinge. Es fand Verwendung beim Ausbrechen der Triebe am Weinstock. Die vor ihr auf dem Tisch liegenden kurzen und sichelförmig gebogenen Sesel (sie sagt Se(j)sel) hat sie nicht benutzt, wohl aber ihre Eltern und Vorfahren. Alle Sesel sind aus geschmiedetem Eisen und haben eine gebogene Scheide und einen gedrechselten Holzgriff. Der Schaft des Eisens geht den Griff hindurch und ist an dessen Ende umgelegt“, hat Alois Wintergerst aus Edenkoben geschrieben.

Hubert Minges, Kultur- und Weinbotschafter aus Edenkoben, berichtet über den Heimatbund Edenkoben, der in seinen Sammlungen etwa zwei Dutzend „Seselmesser“ hat, die teilweise im Museum für Weinbau- und Stadtgeschichte ausgestellt sind. Das uralte Winzeruniversalwerkzeug sei noch in den 1960/70er-Jahren vielseitig im Einsatz gewesen. Vor der Erfindung der Rebschere um 1880 sei auch der Rebschnitt mit dem Sesel durchgeführt worden. Das Zurückschneiden der einjährigen, verholzten Triebe habe nur mit einer optimal scharfen Klinge funktioniert. Deswegen habe der Winzer stets einen Wetzstein in der Tasche gehabt, schreibt Minges.

Antikes Handwerkszeug und eine biblische Friedensvision

Helmut Husenbeth, Jahrgang 1937, aus Hainfeld kann mit gut drei Dutzend Exemplaren dienen: „Als wir anfangs der 1970er-Jahre nach Hainfeld kamen, habe ich hier noch mehrfach Winzer und Erntehelfer mit dem Sesel beim Herbsten sehen können – meiner Erinnerung nach arbeiteten vorwiegend Frauen mit dem Sesel. Gleichzeitig habe ich davon gehört, dass die Hainfelder von den Bewohnern der umliegenden Dörfer als Seselmesser bezeichnet wurden – eventuell sogar als Seselmörder. Im Jahr 1673, im niederländischen Krieg Ludwigs XIV., kam es zu tätlichen Auseinandersetzungen zwischen französischen Offizieren und einheimischen Winzern, deren Waffen die Seselmesser waren. Es gab Tote“, schreibt Husenbeth. Das habe sein Interesse für das altertümliche Winzergerät geweckt. Er zitiert noch eine Friedensvision aus der Bibel: „Dann schmieden sie Pflugscharen aus ihren Schwertern/und Winzermesser aus ihren Lanzen.“ Seine Exemplare stammten meist aus Hainfeld und Umgebung, aber auch aus Schwaben, Südtirol, der Donauregion und aus verschiedenen Regionen Frankreichs.

Die Redaktion bedankt sich für die informativen und unterhaltsamen Zuschriften.

Anita E. Farris aus Landau mit ihrem Nachbarskind Stella Marie, für die sie ein kleines Sesel auf dem Flohmarkt gekauft hat. Fot
Anita E. Farris aus Landau mit ihrem Nachbarskind Stella Marie, für die sie ein kleines Sesel auf dem Flohmarkt gekauft hat.
Die Sesel-Mitarbeiter aus Rhodt mit dem Namensgeber.  Foto: Schäfer/frei
Die Sesel-Mitarbeiter aus Rhodt mit dem Namensgeber.
Christel Buckel aus Landau hat der Redaktion des Marktplatz regional ein Foto mit ihrer umfangreiche Sesel-Sammlung geschickt.
Christel Buckel aus Landau hat der Redaktion des Marktplatz regional ein Foto mit ihrer umfangreiche Sesel-Sammlung geschickt.
Winzer und Wirt Georg Jacob Guth aus Zeiskam hat Karl Guth aus Hochstadt ein Sesel hinterlassen. Er hat seinen Enkel fotografier
Winzer und Wirt Georg Jacob Guth aus Zeiskam hat Karl Guth aus Hochstadt ein Sesel hinterlassen. Er hat seinen Enkel fotografiert.
Walter Gehrlein, Florian Bellaire und Lenard Vorpahl setzen sich in Neupotz für den Erhalt des Sesels als Korbmacherwerkzeug ein
Walter Gehrlein, Florian Bellaire und Lenard Vorpahl setzen sich in Neupotz für den Erhalt des Sesels als Korbmacherwerkzeug ein.
Helmut Husenbeth aus Hainfeld hat gleich drei Dutzend Sesel in seiner umfangreichen Sesel-Sammlung. Foto: HUSENBETH/FREI
Helmut Husenbeth aus Hainfeld hat gleich drei Dutzend Sesel in seiner umfangreichen Sesel-Sammlung.
x