Kusel Unterjeckenbach: Besuch in der verschwundenen Heimat

Nur an wenigen Stellen dürfen die Teilnehmer der Busfahrt auf dem Truppenübungsplatz aussteigen.
Nur an wenigen Stellen dürfen die Teilnehmer der Busfahrt auf dem Truppenübungsplatz aussteigen.

Jeden Pfingstsonntag Ehemaligentreffen der aufgelassenen Dörfer mit Fahrt zum Truppenübungsplatz

Natur pur – offene Flächen mit Trockenwiesen wechseln ab mit fast verwilderten Fluren und Waldungen mit alten Baumbeständen, Tümpel, Bachläufe, spärliche Mauerreste, abgestorbene Baumstämme und immer wieder Wildwechsel. Wären da nicht befestigte Straßen, Panzerwracks, Ziel- und Gebäudeattrappen oder Containertoiletten, die Fahrgäste im Bus könnten sich angesichts der reichen Flora und Fauna in einem nahezu unberührten Naturreservat wähnen statt auf dem Truppenübungsplatz Baumholder. Eine Bus-Exkursion in den Truppenübungsplatz gehört zum Fixpunkt des sogenannten Ehemaligentreffens, das an jedem Pfingstsonntag in Unterjeckenbach stattfindet. In dem laut Ortsbürgermeister Karl Christian Michel mit 69 Einwohnern zweitkleinsten Ort im Kreis Kusel wird dieses Treffen seit nunmehr 28 Jahren organisiert: vom Förderverein der Freiwilligen Feuerwehr mit dem Beigeordneten Michael Henrich an der Spitze.

Jetzt kommen die Kinder und Enkel

Beim Besucherzuspruch für das Ehemaligen-Treffen sei schon eine Veränderung zu registrieren, sagt Michel. Die Generation ehemaliger Bewohner der entvölkerten Dörfer sei mittlerweile abgelöst von der Kinder- und Enkelgeneration. Hinzu kämen viele Besucher aus der Region, die neugierig auf den Truppenübungsplatz seien. Die Bewohner der aufgelassenen Dörfer hätten „ihre Heimat verloren“, aber ob es ihnen deshalb schlechter ergangen sei, lasse er offen, sagt Herbert Theis aus Unterjeckenbach. Der Forstwirt schwärmt von der Vielfalt an Tieren auf dem Platz, auf dem es „Wild ohne Ende“ gebe: Dam- und Rehwild, Wildschweine und -katzen. In fünf Jagdreviere sei das Gelände gegliedert, auf dem auch noch vier Schäfer mit ihren Herden für eine Offenhaltung der Landschaft sorgen. Doch Theis verweist auch auf die Schattenseiten des Übungsplatzes: Unterjeckenbach habe die direkte Verbindung nach Baumholder verloren. Der Fluglärm der Kampfjets bei ihren Einsätzen auf dem Truppenübungsplatz sei schon eine Störung für die Dorfbewohner.

4000 Menschen umgesiedelt

Nahezu 4000 Einwohner aus 13 Dörfern und ebenso vielen Weilern sowie Einzelhöfen wurden von der „Reichsumsiedlungsgesellschaft“ ab 1937 bei Anlage und Ausbreitung des Truppenübungsplatzes umgesiedelt: viele in umliegende Ortschaften, andere wiederum nach Mecklenburg oder in die Magdeburger Börde. Die Geschichte fügte es, dass nach dem Kriegsende 1945 manche der früheren Bewohner wieder in ihre Heimatdörfer zurückkehrten. Seine Vorfahren, die vor 80 Jahren aus Oberjeckenbach nach Legbruch bei Berlin umgesiedelt wurden, seien 1947 wieder in den Heimatort zurückgekehrt, weiß Hans-Günter Welschbach aus Kappeln. Nicht zuletzt wegen Wohnungsmangel erlaubten die Behörden die Wiederbesiedlung des Dorfes. Die Einwohnerzahl von Oberjeckenbach stieg wieder auf 240 an, 1963 verließen dann die letzten Bewohner das Dorf.

Verschwunden: Erzweiler und Zaubach

Noch später machten die letzten Bewohner von Erzweiler das Licht endgültig aus. Auch der Ort, der nach dem Krieg zum Gutsbezirk Baumholder gehörte, konnte mit Sondergenehmigung wieder besiedelt werden. Im Sommer 1974 verließen die letzten drei Einwohner Erzweiler. Das kleine Dorf Zaubach musste als letzte Ortschaft der Arrondierung des Truppenübungsplatzes weichen. Ende der 70er Jahre wurde die Gemeinde mit gerade noch 60 Einwohnern aufgelöst und in den Gutsbezirk eingegliedert. Über knapp 12000 Hektar erstreckt sich das hügelige Gebiet zwischen Nahe und Glan. An der tiefsten Stelle im Steinalbtal werden 216 Meter gemessen, die höchste Erhebung erreicht mehr als 600 Meter. Bei klarer Sicht lässt sich von dem Hochpunkt „Plättchen“ der Potzbergturm ausmachen, ebenso die Windräder bei Freisen. Von den früheren Siedlungen, die dem militärischen Übungsgelände weichen mussten, kündet nur noch wenig: einzelne Streuobstwiesen, ein Dorfteich oder eine mit Gattern eingefriedete Grasfläche, der ehemalige Dorffriedhof.

Gedenk-Ortsschilder

Neu angebrachte Ortsschilder, auf denen neben Einwohnerzahl, Gemarkungsgröße, Jahr der Räumung auch vermerkt ist, dass etwa die Wüstung Oberjeckenbach damals zum „Restkreis St. Wendel“ gehörte, dienten dem „kulturellen Gedenken“, informiert Stabsfeldwebel Reinhold Moser. Er leitet die Busexkursion und lässt nach entsprechenden Belehrungen die Zivilisten an wenigen Stellen „absitzen“. Es komme immer vor, dass Unbefugte auf dem Übungsgelände, auf dem Bordkanonen, Panzerabwehrhandwaffen, Lenkflugkörpern, Handwaffen, Artillerie, Mörser, Drohnen zum Einsatz kommen und an 150 Tagen pro Jahr geübt wird, angetroffen werden, berichtet Moser. Egal ob diese sich beim Geocaching „verirrt“ hätten oder von einem Navi auf den Truppenübungsplatz gelotst worden seien: Fällig werde eine Gebühr von 96 Euro. Hingegen sei es mit entsprechenden Genehmigungen des Bundeswehr-Dienstleistungszentrums durchaus erlaubt, Obst zu lesen, Holz zu sammeln oder zu angeln, weiß der Sicherheitsfeldwebel. Und an Pfingstmontag wird an der Kapelle der Wüstung Kefersheim ein ökumenischer Gottesdienst gefeiert.

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