Kreis Kusel Eine Stimme von „überirdischer Schönheit“

Sorgten für einen bewegenden Abend: Theater- und Musikwissenschaftler und Buchautor Jens Malte Fischer (links) und Frank Pommer,
Sorgten für einen bewegenden Abend: Theater- und Musikwissenschaftler und Buchautor Jens Malte Fischer (links) und Frank Pommer, der Leiter der RHEINPFALZ-Kulturredaktion.

Mehr als 50 Jahre nach seinem allzu frühen Tod ist Fritz Wunderlich so präsent wie kaum ein zweiter. Warum ist das so? Dieser Frage ging der Theater- und Musikwissenschaftler und Buchautor (Große Stimmen) Jens Malte Fischer im Podiumsgespräch im Kuseler Horst-Eckel-Haus nach. Es moderierte der Leiter der RHEINPFALZ-Kulturredaktion, Frank Pommer. Es waren zwei lehrreiche Stunden mit zahlreichen musikalischen Einspielern, die etwa 50 Besucher am Donnerstagabend miterlebten – Gänsehautgefühl mit inbegriffen.

Und es dauert nicht lange, „da stellten sich mir gerade die Nackenhaare“, gesteht Moderator Pommer, nachdem Wunderlichs „Arie des Lenski“ aus Tschaikowskys Oper Eugen Onegin (Live-Mitschnitt, Bayerische Staatsoper München, 1962) verklungen war. „Wer hier keine Gänsehaut bekommt, der hat Eiswasser im Blut“, meint Pommer, der sich dabei an seine jungen Jahre als Gesangsschüler erinnert fühlt. Seine damalige Lehrerin, eine glühende Wunderlich-Verehrerin, habe ihm als 18-Jährigem diese Arie vorgespielt. Dass sie von ihm forderte, er möge die Arie ebenfalls einstudieren, habe seine Karriere allerdings schnell beendet, räumt Pommer augenzwinkernd ein. Jens Malte Fischer lässt Hubert Giesen sprechen, den späteren Klavierpartner Fritz Wunderlichs. Er hat den großen Tenor wohl am treffendsten charakterisiert als einen „Alles-oder- Nichts-Menschen ... sein Herz war in jeder Note“. Für Fritz Wunderlich gab es kein dazwischen, kein „es ist nun gut“. Für ihn musste es immer weiter – noch besser gehen. Selbst als Hubert Giesen ihm nach dem großartigen Liederabend in Edinburgh im September 1966 (davon gibt es von der Deutschen Grammophon einen BBC-Livemitschnitt) sagte „Wir waren heute eine solche Einheit... ich kann Dir nichts mehr beibringen“, beharrte Wunderlich darauf: „Du musst mein Lehrer bleiben.“ Fritz Wunderlich war ein unermüdlicher Arbeiter, dessen innere „Aggressivität“ im positiven Sinn, wie es ein anderer Kollege genannt hatte, ihn stets vorantrieb. Stillstand gab es für diesen Menschen nicht. Alles, was er tat, tat er aus und mit Leidenschaft. So in der Musik wie im Leben – als Auto- und Fotografieliebhaber und Jäger. Mit einem Ausschnitt aus einer Probe mit Hubert Giesen am Klavier verdeutlicht Jens Malte Fischer Fritz Wunderlichs Geduld und langen Atem. Immer und immer wieder hielt Giesen ihn bei „Und wüssten’s die Blumen die kleinen“ aus Schumanns Dichterliebe zu Wiederholungen an, korrigierte, verbesserte: Die Achtel bitte als zwei Sechzehntel ..., noch einmal bitte, ... – und so fort und so fort. Wunderlich folgte geduldig. Was für andere womöglich Quälerei gewesen wäre, war für ihn Notwendigkeit. Es machte ihm nichts aus. Jens Malte Fischer spart bewusst den Tenor Wunderlich als Mozartinterpreten aus: „Den kennen Sie ja alle“. Fischer lenkt das Interesse vielmehr auf den breit aufgestellten Sänger, der auch als Bachinterpret Außerordentliches vollbracht hat, heute aber fast vergessen sei sowie auf den lyrischen Tenor in seinen späteren Jahren. Schon in einer der ersten Aufnahmen Wunderlichs, in der er mit dem Kleinen Rundfunkorchester des Südwestfunks als 23-Jähriger die Walzermelodie „Veilchen, Liebe, Frühling und Du“ singt, deutet sich sein stimmliches Potenzial an, gleichwohl war damals seine Stimme noch etwas „unentwickelt“, der „Glanz noch nicht ganz klar“, wie Fischer beschreibt. Neun Jahre später hörte sich das bei Bachs Matthäuspassion in Wien schon anders an. Da gab es diesen unverkennbaren „Stimmenglanz, den Schmelz, die Klarheit, seine unglaubliche Technik“ und, wie Pommer ergänzt, seine „unfassbar deutliche Aussprache. Bei Wunderlich verstehen sie jedes Wort.“ Dies alles und sein breites Repertoire von Oratorien, über die Oper bis hin zum Lied, das macht diesen Ausnahmetenor – Pommer: „Man kann ihn nicht in eine Ecke stellen“ – noch heute zur Legende. Möglicherweise hat zu Wunderlichs überdauerndem Ruhm auch sein früher tragischer Tod mit 35 Jahren beigetragen. „Sowas spielt zwar immer eine Rolle“, meint Fischer, aber, da sind sich beide Experten einig: Man möge das nicht überbewerten, da wäre noch einiges gekommen. Wunderlich hatte sich erst drei Jahre vor seinem Tod dem Lied zugewandt und dabei „unglaubliche Leistungen“ (Fischer) vollbracht. Eine der „fulminantesten Aufnahmen“ für Fischer ist das Lied vom Leben des Schrenk aus „Die große Sünderin“ von Künneke, das einem beim Vorspielen schier den Atem raubt. „Das macht ihm keiner nach und das wird auch keiner mehr machen“, urteilt Fischer. Und Wunderlichs Stimme als „Italienischer Sänger“ aus dem Rosenkavalier von Richard Strauss, ist für Fischer einfach von „überirdischer Schönheit“. Dabei hatte Strauss für Tenöre, wie Pommer anmerkt, nicht besonders viel übrig; die Partien, die er für sie schrieb, gelten als unsingbar – nicht aber für Wunderlich. Für die beiden Musikexperten stand Fritz Wunderlich die große Karriere, trotz seines stetigen Erfolgs, erst noch bevor. Beim Lied stand er nach ihrer Meinung erst am Anfang. Nach Robert Schumanns „Dichterliebe“ und Liedern von Ludwig van Beethoven, Gustav Mahler, Richard Strauss und Franz Schubert ist es zu Schuberts „Winterreise“ nicht mehr gekommen. Lohengrin, Kaiser, Bacchus, das alles wäre auch noch möglich gewesen, sagen Fischer und Pommer, ohne diesen Jahrhunderttenor verklären zu wollen. Es ist Wunderlichs letzte Aufnahme aus dem September 1966 – Fischer spielt sie zum Ende der Veranstaltung ein –, die ein merkwürdiges Gefühl hinterlässt. Fritz Wunderlich singt in Albert Lortzings „Zar und Zimmermann“ als Zimmergeselle „Lebe wohl mein flandrisch Mädchen“, wo es heißt: „...wenn ich nicht mehr unter den Lebenden bin?“ Vier Tage später ist Fritz Wunderlich tot. Der „Alles-oder-Nichts-Mensch“ erlag am 17. September 1966 den Folgen eines tragischen Sturzes bei einem Jagdausflug im Alter von 35 Jahren – neun Tage vor seinem 36. Geburtstag. Ein bewegender Abend ist zu Ende. Beifall. Info Heute Abend, 19 Uhr, gehen die Fritz-Wunderlich-Musiktage mit dem Konzert der Stipendiaten in der Aula des Kuseler Horst-Eckel-Hauses zu Ende. Am Klavier begleitet Anette Fischer-Lichdi. Der Eintritt ist frei.

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