Kreis Südwestpfalz Rosina, Anna und all die anderen

Die Gruppe macht auf ihrem Stadtrundgang Station am ehemaligen Lebensmittelgeschäft der jüdischen Geschwister Rosina und Delphin
Die Gruppe macht auf ihrem Stadtrundgang Station am ehemaligen Lebensmittelgeschäft der jüdischen Geschwister Rosina und Delphine Isaac in der Schlossbergstraße 15.

«Blieskastel.» „Ich habe diese Stadt unter neuen Gesichtspunkten kennengelernt“, bekannte der saarländische Landtagspräsident Stephan Toscani (CDU) am Mittwoch am Ende des ungewöhnlichen Rundgangs durch Blieskastel. In der Veranstaltungsreihe „Saarländische Erinnerungsorte“ machte der saarpfälzische Politiker Station in seiner Heimatstadt. Unter der Führung von Martin Dauber begab sich der Landtagspräsident zusammen mit Schülern der zwölften Klasse des Blieskasteler Von-der-Leyen-Gymnasiums, mit Bürgermeisterin Annelie Faber-Wegener (CDU) und Saarpfalz-Landrat Theophil Gallo (SPD) auf die Suche nach verbliebenen Spuren früheren jüdischen Lebens in der Barockstadt. Erster Treffpunkt ist das Eingangstor des jüdischen Friedhofs Blieskastel. Schon vom Gehweg aus sind die verwitterten hohen Grabsteine zu erkennen. „Sie weisen die jüngeren Gräber aus“, erklärt Martin Dauber. Schon in seiner Jugend hatte er sich mit der Geschichte der Juden in seinem Heimatort beschäftigt. Schon früh hatte er sich vorgenommen, herauszufinden, was in der Nazi-Zeit mit diesen Mitbürgern geschehen ist. Hatten doch Anfang des 20. Jahrhunderts 13 Prozent der Blieskasteler Einwohner dem jüdischen Glauben angehört. Sie prägten das Gesicht der Stadt mit. Gekommen waren ihre Vorfahren – wie andere Zuwanderer - nach dem Dreißigjährigen Krieg, „der bei uns 20 Jahre länger dauerte“, so Dauber. Eingeladen hatten sie die Grafen von der Leyen, weil der ausgeblutete Landstrich wieder bevölkert werden sollte. Anderen Mitbürgern gleichgestellt waren die Juden damals jedoch nicht. Sie mussten höhere Steuern entrichten und „Schutzgeld“ zahlen, durften weder Handwerk noch Landwirtschaft betreiben. Dies, sagt Dauber, sei ein Grund dafür, dass sie meist arm blieben. Zwar erhielten die Blieskasteler Juden erst nach der Französischen Revolution gleiche Rechte, doch judenfeindlich sei die Stadt nicht gewesen, betont der Fachmann. Kurzer Besuch auf dem Friedhof: Die Metallzäunchen, die hier früher die Gräber zierten, sind nach Daubers Worten dem Vandalismus 1939/40 zum Opfer gefallen. Die Absicht, den Friedhof, der erstmals 1690 erwähnt wurde, komplett einzuebnen, sei zum Glück nicht verwirklicht worden. Heute wird der Friedhof mit seinen rund 250 Gräbern von der Stadt gepflegt. Verantwortlich zeichnet die Synagogengemeinde Saarbrücken. Martin Dauber führt die Gruppe in die Stadt. Er hält vor dem ehemaligen Lebensmittelgeschäft der „Isaac-Mäde“, der Schwestern Rosina und Delphine Isaac. Das Bild des Ladens taucht vor dem geistigen Auge auf: Die über 70-jährige Rosina – ihre Schwester ist bereits gestorben – sitzt am 9. November 1938 allein in ihrer Stube. Sieben oder acht SA- und SS-Männer stürmen die Wohnung und werfen Tische, Stühle, Schränke aus den Fenstern. Wertgegenstände nehmen sie mit. Mutig geht Rosina Isaac zur Polizei und erstattet Anzeige. Obwohl sich der Gendarm als wohlgesonnen erweist, erreicht sie nichts. Bald wird die alte Dame abtransportiert. In Steinbach am Glan, so wird vermutet, fällt sie – sicher nicht zufällig – vom Lkw. Ortswechsel. Dort, wo heute die Speisekarte der Pizzeria „Da Papa“ hängt, stand 1938 am Hotel „Zur Post“ Folgendes zu lesen: „Juden sind hier unerwünscht.“ Schicksal um Schicksal rollt Martin Dauber auf. Berichtet auch von nichtjüdischen Blieskastelern, die ihren bedrängten Bekannten zur Seite standen, soweit sie konnten. „Nicht immer mit Erfolg.“ 250 Jahre lang hatte sich das jüdische Leben in Blieskastel auf eine Straße konzentriert. Diese hieß von ihrer Erbauung bis zum Jahr 1935 Judengasse; dann An der Stadtmauer. „Aber auch 1955 stimmte der Stadtrat nicht mehrheitlich für den früheren Namen“, weiß Dauber. Er hat sich mit Stadtarchivar Kurt Legrum für das Anbringen des Zusatztäfelchens „Judengasse“ stark gemacht. In der Kardinal-Wendel-Straße 58 und 62 wohnte jeweils eine Familie Oppenheimer – sie waren nicht verwandt oder verschwägert. Im zweiten Anwesen lebten Nachfahren von David Oppenheimer, des Gründers der kanadischen Stadt Vancouver. Genauso wie Anna Oppenheimer im Haus Nummer 58 wurden sie stets von den Verwandten aus Übersee unterstützt. Es half nichts: Anna Oppenheimer starb auf der Deportation ins KZ Theresienstadt. Schon 1923, so erfährt die Gruppe auf dem Rundgang, wurde die Blieskasteler Synagoge mit Lehrerwohnung, Gebetsräumen, Schulsaal und Mikwe (Ritualbad) geschlossen. Die Stadt kaufte das Gebäude und richtete Sozialwohnungen ein. Landtagspräsident Toscani mahnt, die Opfer nicht zu vergessen. „Sie mahnen uns, dass Demokratie und Rechtsstaatlichkeit nicht selbstverständlich sind.“ Deshalb reist er zurzeit an verschiedene Orte im Saarland, „um die Geschichte jüdischen Lebens ins Bewusstsein der jungen Menschen zu rufen“. An die versammelten Schüler appelliert er, aus der Vergangenheit zu lernen. Ähnlich äußert sich Landrat Gallo: „Halten Sie dagegen, wenn Randgruppen diskriminiert und verunglimpft werden. Und gehen Sie mit wachen Augen durch die Welt.“ Der Zwölftklässler Philipp zeigt sich vom Rundgang beeindruckt. „Ja, wir müssen ein Zeichen gegen den aufkeimenden Antisemitismus setzen“, stellt er fest.

Martin Dauber erklärt am ehemaligen Hotel „Zur Post“, wo nach der Pogromnacht ein antisemitischer Spruch an der Wand stand.
Martin Dauber erklärt am ehemaligen Hotel »Zur Post«, wo nach der Pogromnacht ein antisemitischer Spruch an der Wand stand.
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