RHEINPFALZ-Sommeraktion Unterwegs wie die Pälzer driwwe: Tour mit Tretrollern der Amischen (mit Video)

Jakob Burkhart hat eine 3,5 Kilometer lange Tour durch die Weinberge bei Kleinfischlingen für unsere Leser zusammengestellt.
Jakob Burkhart hat eine 3,5 Kilometer lange Tour durch die Weinberge bei Kleinfischlingen für unsere Leser zusammengestellt.

Keine Autos, kein Strom, kein Luxus: Die Amischen führen ein Leben wie vor 300 Jahren. Einst wanderten sie aus der Pfalz nach Amerika aus. Dort stieß ein junger Südpfälzer auf ihre ganz besonderen Gefährte – und brachte sie mit nach Deutschland. Nun durften acht Leser damit eine feucht-fröhliche Tour durch die Weinberge unternehmen.

Sie heißen Caleb, Abigail oder Abram. Die zwölf Tretroller, die im Hof des Kleinfischlinger Weinguts von Beiden aufgereiht sind, haben nicht nur Namen, die aus der Zeit gefallen scheinen, sie umrankt auch eine ganz besondere Geschichte. Denn die Gefährte stammen direkt aus den Werkstätten der Amischen in Pennsylvania.

An dieser Stelle finden Sie ein Video via Glomex.

Um Inhalte von Drittdiensten darzustellen und Ihnen die Interaktion mit diesen zu ermöglichen, benötigen wir Ihre Zustimmung.

Mit Betätigung des Buttons "Fremdinhalte aktivieren" geben Sie Ihre Einwilligung, dass Ihnen Inhalte von Drittanbietern (Soziale Netwerke, Videos und andere Einbindungen) angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an die entsprechenden Anbieter übermittelt werden. Dazu ist ggf. die Speicherung von Cookies auf Ihrem Gerät notwendig. Mehr Informationen und eine Widerrufsmöglichkeit finden Sie in unserer Datenschutzerklärung.

Und dort wird noch immer ein pfälzischer Dialekt gesprochen, wanderten viele der Strenggläubigen doch einst von hier über den großen Teich nach Amerika aus. „Und nun ist ein Stück von den Amischen wieder in Deutschland bei uns“, erzählt der 18-jährige Jakob Burkhart, der die Idee hatte, die Tretroller hierzulande zu vertreiben und dafür mit Unterstützung seiner Familie vor zwei Jahren die Firma Kick’n’Roll gründete.

Die Brutzelsonne der vergangenen Woche lässt die Fahrgestelle glänzen. Der Abiturient aus Hainfeld prüft noch mal bei allen Modellen den Reifendruck, da kommen auch schon die ersten RHEINPFALZ-Leser durchs gusseiserne Rebenranken-Tor – voller Spannung, was sie gleich erwarten wird. Bei einem Gläschen Wein zur Einstimmung erzählen Michael und Christa Gloss von ihrem Urlaub in den USA 1978. An den Niagarafällen seien sie von einem Kind angesprochen worden mit den Worten: „Sprechet ihr deitsch?“ Die Eltern in der Nähe hätten geschmunzelt. „Es waren Amische. So sind wir ins Gespräch gekommen und haben erfahren, dass diese ja Urpfälzer sind.“

Straßenschild „Vorfahrt Kutsche“

Wer die viel beachtete Dokumentation „Hiwwe wie driwwe“ gesehen hat, weiß um die Pfälzer Wurzeln der amischen Kultur. Die Glaubensgemeinschaft geht aus der reformatorischen Täuferbewegung Mitteleuropas hervor. Vom Hauptstrom der Täufer, den Mennoniten, trennte sie sich 1693. Damals lebten die Amischen hauptsächlich in der Schweiz und im Elsass. Weil Frankreich keine anderen Bekenntnisse neben der römisch-katholischen Kirche duldete, siedelten viele Amische in deutsche Gebiete um, hauptsächlich in die Pfalz. Von dort begann Anfang des 18. Jahrhunderts eine Auswanderungswelle nach Nordamerika. Heute gibt es über 300.000 Amische, die in 500 Siedlungen in den USA und Kanada leben. Die meisten von ihnen in Pennsylvania.

Moderne Fortbewegungsmittel sind bei den Amischen verpönt. Sie setzen auf Kutschen – und Tretroller.
Moderne Fortbewegungsmittel sind bei den Amischen verpönt. Sie setzen auf Kutschen – und Tretroller.

Eine dieser Siedlungen besuchte Familie Burkhart während ihres zweijährigen Aufenthalts in den USA. Jakobs Vater Patric Burkhart arbeitete damals bei der BASF und wurde 2008 nach New Jersey delegiert. In dem Dorf erlebte die Südpfälzer Familie ein Leben, in dem die Zeit zurückgedreht schien. Frauen laufen mit Schürze und Haube auf dem Kopf zur Kirche. Männer mit langem Bart und Hut arbeiten auf dem Feld wie vor 300 Jahren. Davon kann auch Leser Karl Hammann berichten, der Ende der 1980er bei einer USA-Reise an einer Amisch-Siedlung vorbeikam. „Ich war dort zur Erntezeit. Die hatten Mordsfuhrwerke mit sechs Pferden“, erzählt er und erinnert sich noch die Verkehrsschilder, die „Vorfahrt Kutsche“ anzeigten. Oder „Vortrab Kutsche“, witzelt er.

Geländegängig statt elektrobetrieben

Die Amischen leben abgeschieden in tiefer Gottesfürchtigkeit und verzichten weitgehend auf neue Technik und Elektronik. So sind auch moderne Fortbewegungsmittel verpönt. Statt auf Autos setzen sie auf Pferdekutschen – und für kurze Wege auf Tretroller. Diese haben im Gegensatz zu den Cityrollern, wie man sie hierzulande kennt, keine kleinen Räder aus Hartplastik, sondern eher Fahrradreifen-Durchmesser. Bis zu 30 Stundenkilometer seien damit möglich, berichtet Jakob Burkhart. Und dank des robusten Gestells kann man damit auch Kopfsteinpflaster oder Schotterwege in Angriff nehmen. Oder Feldwege durch die Weinberge, wie unsere Lesergruppe heute. Diese steht schon in den Startlöchern und rollert durchs Tor hinaus ins Grüne. Mit reiner Beinkraft, versteht sich. Denn ein Elektroantrieb ist in der Welt der Amische natürlich tabu.

Die Südpfälzer Firma Kick’n’Roll vertreibt als einzige in Deutschland die Tretroller der Amischen.
Die Südpfälzer Firma Kick’n’Roll vertreibt als einzige in Deutschland die Tretroller der Amischen.

Aber unsere Truppe hat den Dreh schnell raus und braust vergnügt mit den geländegängigen Vehikeln durch die malerische Rebenlandschaft rund um Kleinfischlingen. Familie Burkhart hat dafür zusammen mit ihrem befreundeten Weingutbesitzer Jochen Laqué eine 3,5 Kilometer lange Tour zusammengestellt. Dieser sorgt dafür, dass die Kehlen beim Fahrteifer nicht trocken bleiben. Jakobs Vater Patric Burkhart ist schon mit dem Auto vorgefahren und hat an zwei lauschigen Sitzgruppen unter Schatten spendenden Bäumen Raststationen aufgebaut. Dort gibt’s kleine Snacks und natürlich die Weine des Gut von Beiden zum Verkosten. Jochen Laqué hat einen Sauvignac und einen Souvignier Gris als Begleiter der Rollertour ausgewählt – beides sogenannte Piwis.

Weinstärkung am Wegesrand mit Piwis

Seit drei Jahren liegt der Fokus des Weinguts auf jenen pilzwiderstandsfähigen Rebsorten. Die Neuzüchtungen sind robust und widerstandsfähig gegen Krankheiten und ermöglichen es so, dass Winzer wesentlich weniger Pflanzenschutzmittel einsetzen müssen. Und das ist dem Gut von Beiden wichtig, arbeitet es doch seit 2018 komplett nach ökologischen Richtlinien. Ganz ohne Pflanzenschutzmittel kommt natürlich auch ein Bio-Weingut nicht aus. Aber gegenüber Chemiekeulen im konventionellen Anbau seien diese „Lutschbonbons“, meint Laqué. Die Piwis, die die Lesergruppe an jenem Tag im Glas hat, hat das Kleinfischlinger Weingut aus Zuchtanstalten in Freiburg, Österreich und der Schweiz bezogen. Aber zwei neue sind bereits geordert, wie Laqué erzählt. Und die kommen aus der Südpfalz: vom Institut für Rebenzüchtung Geilweilerhof in Siebeldingen, wohin uns erst vor Kurzem eine RHEINPFALZ-Sommeraktion führte.

2013 hatte sich der Industriekaufmann und Betriebswirt mit dem Oenologen Philipp Müller zusammengetan, um das Familienweingut auf neue Beine zu stellen. Vor der Übernahme war es ein auslaufender Betrieb, der seine Trauben an andere Weingüter verkaufte. Mittlerweile bewirtschaftet das Gut 35 Hektar, baut um die 20 Rebsorten an, und seine selbst produzierten Weine sind von den großen Feinschmeckermagazinen prämiert. Dass diese Rebensäfte etwas können, finden auch unsere Leser. Und mit solchen netten Zwischenstopps falle es ja auch gleich leichter, die Hügel hoch- und runterzufahren, findet Michael Gloss.

Zwei Geburtstagskinder unter Lesern

Der Westheimer ist unser Geburtstagskind des Tages. An diesem Tag wird er 67 Jahre. Genauso alt wie seine Ehefrau Christa, die auch dabei ist und ihren Jubeltag einen Tag danach feiert. Ihre Tochter Pascale hatte die beiden für die Sommeraktion angemeldet – und das Losglück war ihnen hold. Auf einem Tretroller standen die beiden passionierten E-Bike-Fahrer bisher noch nicht. Mit solcher Erfahrung können dafür Werner und Ursula Heiter glänzen – allerdings liegt dies nun auch schon gut 65 Jahre zurück. „Mit sechs Jahren hatte ich meinen ersten Roller. Damals gab’s nur Holzroller. Aber das jetzt war eine ganz neue Expirience“, findet der Rülzheimer.

Jochen Laqué vom Weingut von Beiden hat „Piwis“ für unsere Leser vorbereitet.
Jochen Laqué vom Weingut von Beiden hat »Piwis« für unsere Leser vorbereitet.

Ganz viel neue Erfahrungen hat auch der 18-jährige Jakob Burkhart durch den Kontakt mit den Pfälzern von „driwwe“ sammeln können. Nicht nur, dass der Abiturient als Geschäftsführer von Kick’n’Roll im jungen Alter viel Verantwortung trägt. Der Austausch mit dieser ganz andersartigen Kultur hat bei ihm auch bleibenden Eindruck hinterlassen. „Man kann sich das schlecht vorstellen, in unserer heutigen Zeit ist alles vernetzt, es gibt Autos und so weiter.“ Aber dort noch einmal die Kutschen, das landwirtschaftliche Leben, die Menschen in altertümlicher Kleidung zu sehen, deren Gemeinschaftlichkeit in der Einfachheit, das will der Südpfälzer auf jeden Fall noch einmal hautnah erleben. „Jetzt erst Abitur und Studium. Aber mein Wunsch ist, irgendwann noch einmal nach Pennsylvania zurückzukehren.“

x