Kusel Rote Teufel statt Reformation

Markwart Herzog (55) ist Direktor der Schwabenakademie im Allgäu, einer Einrichtung zur Förderung von Bildung und Kunst, Wissenschaft und Forschung. Weil er schon immer Fan des 1. FC Kaiserslautern ist, gehört Fußballgeschichte zu seinen Spezialgebieten. Am morgigen Donnerstag hält er um 19 Uhr in der „Helle Wertschaft“ in Quirnbach einen Vortrag zum Thema „Die Bedeutung des 1. FC Kaiserslautern für den Regionalstolz der Westpfalz – Ein Blick zurück in die Fußballgeschichte“. Im Vorfeld hat sich Torben Müller mit ihm unterhalten.

Sie wurden in Heilbronn geboren, sind heute Direktor der Sachwabenakademie, deren Träger der Bezirk Schwaben und der Schwäbische Volksbildungsverband sind. Wie wird man da zum leidenschaftlichen FCK-Anhänger?

Fan bin ich schon von Kindesbeinen an. Mir hat es in den 1960ern und 70ern imponiert, wie der kleine, oft totgesagte Klub dem Abstieg immer wieder von der Schippe gesprungen ist. In der Schule – wo ich Außenseiter unter den vielen VfB-Stuttgart-Fans war – habe ich mich mit Existenzialismus beschäftigt, und dem FCK habe ich zugeschrieben, was ich in der Theorie gelernt hatte. Wann haben Sie den FCK dann erstmals live im Stadion erlebt? Am 1. Mai 1975 nahm mich ein Bekannter meiner Mutter mit ins Stuttgarter Neckarstadion zum Spiel gegen Lautern. Hannes Riedl verwandelte in der zweiten Halbzeit einen von Willi Entenmann verursachten Handelfmeter zum 1:0-Sieg. Das bedeutete den Abstieg für den VfB, aber ich war glücklich. Und als Folge befasst sich die Schwabenakademie mit Fußball – und in erster Linie einem Verein aus der Pfalz... Nein, das kann man so nicht sagen. Von unseren rund 100 Veranstaltungen pro Jahr beschäftigt sich eine mit dem Thema Fußball. Bei unseren Publikationen liegt der Fußballanteil allerdings schon etwas höher. Und Fußball ist Chefsache? Um Fußball kümmert sich der Chef sehr gerne persönlich, unterstützt von den Mitarbeiterinnen. Und es ist ein echtes Erfolgsprojekt der Akademie. Wann haben Sie beschlossen, dass Ihre alte Leidenschaft Teil des Berufs werden soll? Im Jahr 2000, als der FCK und der Deutsche Fußball-Bund 100 Jahre alt wurden, habe ich begonnen, mich ernsthaft mit der Fußballgeschichte zu befassen. In diesem Jahr erhielt ich auch eine Einladung zum Deutschen Historikertag, wo ich einen Vortrag über den FCK und das westpfälzische Regionalbewusstsein gehalten habe. Bis dahin hatte ich mich vor allem mit Reformationsgeschichte beschäftigt, dann aber interessierte ich mich auch beruflich immer mehr für den Fußball. Seither habe ich viele Vorträge zu dem Thema auch im Ausland – etwa in Kopenhagen und Zürich und in diesem Herbst in Cambridge und Durham – gehalten, und es gingen etliche Publikation hervor, etwa „Der ,Betze’ unterm Hakenkreuz“. Wie schätzt ein FCK-Fan und Historiker die Bedeutung Kaiserslauterns für die Entwicklung der Bundesrepublik Deutschland ein? Klar ist: Ohne den 1. FC Kaiserslautern wäre Deutschland 1954 nicht Weltmeister geworden. Ein Leserbriefschreiber an die RHEINPFALZ hatte zudem Recht, als er daran erinnerte, dass auch Hans Schäfer ursprünglich aus der Pfalz stammte. Also: mehr als 50 Prozent Pfälzer in der Final-Startelf. Gleichwohl: Der Titelgewinn war ein toller sportlicher Erfolg, der von Millionen von Deutschen gemeinsam gefeiert wurde, mehr aber nicht. Das Land war nur temporär zu einer virtuellen Fußballgemeinschaft zusammengeschweißt. Gerade für einen FCK-Fan ist diese Einschätzung sehr gewagt... Die These von der mentalen Gründung der BRD durch den WM-Titel ist nicht tragbar. Es gibt viele wissenschaftliche Veröffentlichungen, die zeigen, dass das keinen nachhaltigen Einfluss hatte. Ein Beleg: Von 1955 bis 1989 gab es gar keine über den Sport hinausgehende Erinnerungskultur, schon am ersten Jahrestag spielte der Titel in den Medien nur noch eine marginale Rolle. Erst nach der Wiedervereinigung, als Deutschland große finanzielle Probleme hatte, wurde wieder in der Öffentlichkeit an die Tugenden von Bern erinnert. In den beteiligten Vereinen wurden die Helden natürlich immer verehrt, aber wenn in den Medien ein so langes Vakuum klafft, dann beweist das, dass dieses Sportereignis im Rückblick völlig überfrachtet wird. Diese später ausgegrabenen deutschen Tugenden hatten auch in der zeitgenössischen Berichterstattung zunächst eine ganz geringe Rolle gespielt, damals ging es mehr um die spielerische Qualität des Teams. Wie man überhaupt sagen muss, es war ja kein echtes „Wunder von Bern“: Deutschland war in allen Belangen konkurrenzfähig mit der Weltspitze – in Sachen Trainingswissenschaft, gut ausgebildeten Spielern, und auch die Organisation und Finanzpolitik des DFB waren spitze.Worum wird es bei Ihrem Vortrag in Quirnbach gehen? Ich will zeigen, wie der FCK – beziehungsweise seine Vorgängervereine – sich vom Stadtteilklub zum Identifikationsobjekt für die Pfalz bis hin zur Nationalikone und zeitweisen Branchenführer entwickelt hat. Wie er für Austauschprozesse mit Politik, Wirtschaft und Kultur interessant geworden ist und wie er historisch die gesamtdeutsche Entwicklung spiegelt. Lässt sich der Abstieg der jüngeren Vergangenheit, vom Champions-League-Teilnehmer zum Zweitligisten, historisch einordnen? War es für einen Verein dieser Größe einfach an der Zeit? Es gibt tatsächlich einen interessanten historischen Zusammenhang: Schon in der späten Weimarer Republik hatte der FCK große finanzielle Probleme – weil der Vorsitzende unter anderem Tribünengelder an der Steuer vorbei in Spieler investiert hatte. Damals war der Verein schon mal abgestürzt, so wie dann um die Jahrtausendwende wieder. Die übergroße Liebe der Funktionäre zu ihrem Verein führt auch bei anderen Fußball-Klubs dazu, an den Grenzen der Legalität zu agieren. Dabei wollte sich niemand persönlich bereichern, sondern vielmehr dem Verein Vorteile verschaffen. Nur so glaubte man, als Verein in einer kleinen Kommune mit den Großen mithalten zu können. Wie erleben Sie selbst heute die Spiele? Ich schaue ganz selten, das kann ich nur schwer aushalten. Ich bin da ein „anderer Typ von Fan“. Wäre ich in Kaiserslautern, ich würde lieber im Stadtarchiv zum Thema recherchieren als ins Stadion zu gehen. Mein Sohn Anselm (20), den der FCK natürlich auch von klein auf begleitet hat, ist deutlich fanatischer. Beim Relegationsspiel gegen Hoffenheim hatte er die Mannschaft so intensiv angefeuert, dass er am Ende Blut im Mund hatte. Und bei Ivo Illicevics 1:0 gegen Bayern 2010 hat er mich vor überschäumender Freude derart umarmt, dass mir eine Rippe angeknackst wurde. Fußball bringt Vater und Sohn in einer Weise zueinander, wie es keine andere Macht der Welt vermag...

An dieser Stelle finden Sie ein Video via GlomexSport.

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