Kusel Rätsel um Verschollene gelöst
Homburg, 14 März 1945. 161 britische Bomber greifen die Stadt an. 15 Minuten zuvor ist Zweibrücken von 230 Bombern attackiert worden. Während sich über Zweibrücken kein Widerstand zeigt, stellen sich über Homburg deutsche Nachtjäger den Bombern entgegen. Über Sanddorf zerbricht ein Bomber unter dem Feuer der Verteidiger. Tödlich getroffen stürzt die schwere Maschine der britischen Royal Air Force in den Wald. Die siebenköpfige Besatzung um den Franzosen Captain Brunet hat keine Chance. „Der Raum schwankte“, erinnert sich ein Zeitzeuge, der als Siebenjähriger nur 500 Meter entfernt im Keller hockte. „Man hörte das Grollen der explodierenden Bomben und plötzlich gab es einen lauten Knall. Das war das Flugzeug, als es in den Boden krachte. Wir sind dann aus dem Keller raus. Die Stadt brannte. Einige Leute aus dem Ort sind zur Absturzstelle, aber da war nichts mehr.“ Die Anwohner fanden nur eine einzige Leiche, einen jungen Mann, der es irgendwie aus der zerbrechenden Maschine schaffte, aber dennoch beim Absturz starb. Was dann folgte, war Routine: Die Trümmer wurden oberflächlich beseitigt, der Tote begraben. Wer es war, wusste man natürlich nicht, ebenso wenig, wer sonst noch in dem Flugzeug gesessen hatte. Danach wurde es still um den Bomber und seine Besatzung, die fortan als vermisst galt. Die Alliierten wussten, dass die Maschine samt Besatzung irgendwo im Zielgebiet verschollen war, die Anwohner, dass sie irgendwo liegt. Aber wo genau, das verschwand 70 Jahre im Nebel der Geschichte. Es sollte bis 2015 dauern, bevor die Reste wiederentdeckt wurden. Dass die Trümmer gefunden wurden, ist Uwe Benkel aus Heltersberg zu verdanken. Er gründete vor 25 Jahren die „Arbeitsgruppe Vermisstenforschung“ und sucht seitdem zusammen mit ehrenamtlichen Helfern nach vermissten Flugzeugen aus dem Krieg und deren Besatzungen. Von dem Bomber im Wald bei Sanddorf hat er, wie bei mehreren anderen Flugzeugen auch, durch Erzählungen von Zeitzeugen oder deren Verwandten erfahren. Danach begannen die Nachforschungen über den wahrscheinlichen Absturzort, der dann im März dieses Jahres von seinem Helfer David Marx und dessen Vater erstmals sondiert wurde. Gleich die erste Erkundung war ein Treffer. „Der Wald ist übersät mit Trümmern.“ Dass der Bomber in der Luft zerbrochen ist, darauf deuten die zwei voneinander unabhängigen Trümmerfelder hin, die mittlerweile entdeckt wurden. Die Fundstücke, Flugzeugtrümmer, Uniformteile und Ausrüstungsgegenstände, die teils auch nach 70 Jahren nur knapp unter dem Laub liegen, erlaubten die Nachforschung in England und die Identifizierung von Maschine und Besatzung. Laut Benkel war es ein schwerer, viermotoriger Bomber vom Typ „Handley Page Halifax“, neben der „Avro Lancaster“ der Standardbomber der Royal Air Force im Zweiten Weltkrieg. Die Maschine gehörte zur „347. Squadron“, stationiert in Elvington, New Yorkshire. Das Besondere war ihre Besatzung: Sie bestand aus Franzosen, die als Angehörige der „Freien Französischen Luftwaffe“ auf Seiten der Alliierten gegen das Dritte Reich kämpften. Die Royal Air Force stellte das Material, die Franzosen die Besatzungen. Um weitere Informationen zu erlangen, präsentierte Benkel die bisherigen Erkenntnisse und auch gefundene Relikte am vergangenen Freitag im Karlsberger Hof in Sanddorf der Öffentlichkeit. Und wie erhofft, fanden sich unter den etwa 80 Anwesenden auch Zeitzeugen, die Detailinformationen zum Absturz und weitere Angaben über den möglichen Verbleib der Toten geben konnten. Einstimmig widersprachen sie dem im Internet kursierenden Gerücht, es habe Überlebende gegeben, die von der SS massakriert worden wären. „Da war keine SS“, sagt ein Zeuge. Waltraud Lindemanns Mutter, die ebenfalls an der Absturzstelle gewesen war, erzählte ihrer Tochter später, es habe nur eine erkennbare Leiche gegeben. „Ein ganz hübscher junger Mann“, der äußerlich „unverletzt da gelegen hat“. Die anderen sechs Männer wurden mit dem Flugzeug eingeäschert und begraben, als es in den Boden rammte. Knochenfunde an der Absturzstelle belegen ihr Schicksal. Die nächsten Schritte sind nun die schnellstmögliche weitere Erkundung des Trümmerfeldes, um weitere markante Teile und die genauen Aufschlagzonen zu finden. Denn die sechs Vermissten liegen möglicherweise noch immer dort, wo die Flugzeugzelle an jenem Märzabend 1945 aufschlug. Auch im Trümmerfeld können Überreste verstreut sein. Diese auszumachen und das Schicksal der Männer endgültig zu klären, ist das Hauptanliegen von Benkel und seinen Helfern. Wenn ihnen das gelingt, können die vermissten Flieger nach 70 Jahren in ihre Heimat überführt und endlich würdevoll bestattet werden. Die Zeit drängt. Laut Benkel sind bereits andere Interessierte auf den Bomber aufmerksam geworden. Sogenannte „Schatzsucher“, von denen sich Benkel klar distanziert, haben kürzlich gegraben. Angesichts der im Trümmerfeld möglicherweise verstreuten Munition kein ungefährliches Unterfangen. Auf Luftbildern der Absturzstelle finden sich Hinweise auf einen möglichen Blindgänger im Suchgebiet. Zeitgleich zu dem Bomber sucht Benkel zudem nach einer P47 Thunderbolt, die am 5. November 1944 zwischen dem Eichelscheider Hof und Bechhofen nach einer Kollision abstürzte. Der Pilot, Warner H. Marsh Junior, gilt seit diesem Tag ebenfalls als vermisst. Auch von diesem Flugzeug sind möglicherweise zwei Trümmerteile aufgetaucht. Die Trümmer, die Benkel und sein Team finden, werden nach Abschluss der Suche an Museen und Ausstellungen übergeben. Manfred Rippel, Ortsvorsteher von Bruchhof-Sanddorf, kündigte an, dass nächstes Jahr im Tascher Hof eine Ausstellung zu den beiden Flugzeugen und ihren Besatzungen eingerichtet werden könnte. Um an die jungen Männer und alle anderen zu erinnern, die vor 70 Jahren ihr Leben verloren.