Kusel Missbrauch – ja oder nein?

Die Vorstellung – dargeboten auf einem Balkon in der Kreisstadt – war sicherlich erbärmlich. Allerunterste Schublade, da ließ der Verteidiger auch keinerlei Zweifel aufkommen. „Aber ist das wirklich sexueller Missbrauch?“ Der Anwalt meinte: nein. Die Staatsanwältin hingegen wertete die Entblößung des Mannes vor jungem Publikum anders. Und weil der Strafrichter die Ansicht der Anklagevertreterin teilte, hat der 60-Jährige eine achtmonatige Bewährungsstrafe kassiert.

Sexueller Missbrauch von Kindern und Jugendlichen sowie exhibitionistische Handlungen: Das sind die Tatbestände, die dem Rentner vorm Amtsgericht Kusel angelastet worden waren. Der Richter gelangte zu einem Schuldspruch, der wohl – so hatte der Verteidiger vor der Urteilsverkündung durchklingen lassen – nicht rechtskräftig wird. Der Anwalt deutete an, Berufung gegen das erstinstanzliche Urteil einzulegen. Wobei der Vorfall an und für sich nicht in Zweifel steht. Nur: Die rechtliche Würdigung des Gerichts, die geht nach Ansicht des Advokaten fehl. Der 60-Jährige konnte sich nur mühsam vor Gericht artikulieren und ein bisschen was über seine trüben Lebensumstände verraten. Er zog es vor, zu den Vorwürfen selbst seinen Verteidiger Stellung nehmen zu lassen. „Er räumt ein, dass es genau so war“, sorgte der Anwalt gleich für klare Verhältnisse. Dies brachte dem Angeklagten durchaus Pluspunkte ein; vor allem, weil er damit einem Kind die Aussage vor Gericht erspart hat. Der zum Tatzeitpunkt im Sommer knapp zehn Jahre alte Junge war nicht zum Strafprozess erschienen. Ein ärztliches Attest besagte, dass der am sogenannten Aufmerksamkeits-Defizit-Syndrom leidende Junge kaum in der Lage sei, als Zeuge zu erscheinen. Auch eine 15-Jährige war der Ladung nicht gefolgt: Die Mutter hatte kurz vor der Hauptverhandlung schriftlich mitgeteilt, ihre Tochter sei am Morgen in der Schule zusammengebrochen, so sehr habe sie der bevorstehende Termin psychisch mitgenommen. Weil der Angeklagte die Taten einräumen ließ, konnte man auf die Aussagen der beiden verzichten. Passiert war es im Hochsommer 2017: Drei Jugendliche, damals 14 und 16 Jahre alt, sowie der Neunjährige waren unterwegs zu einem Spielplatz und hatten dabei einen Weg genutzt, der am Anwesen vorbeiführt, in dem der 60-Jährige wohnt. „Er hat dort ein Blumenbeet, das er hegt – sein Ein und Alles im Alltag“, erklärte der Verteidiger. Die Blüte seiner Freizeitaktivitäten habe der Frührentner wohl in Gefahr gesehen – und daraufhin eine Reaktion gezeigt. „Wie daneben das war, das muss ich, glaube ich, nicht kommentieren“, wollte der Verteidiger seine Missbilligung nicht verhehlen. Tatsache ist, weil von mehreren Leuten beobachtet und vom Angeklagten unbestritten: Der spärlich bekleidete 60-Jährige ließ die letzte Hülle fallen und fummelte an sich herum. Die Balkon-Inszenierung war laut Zeugen von lautem Krakeelen und Lallen begleitet. Wenig verwunderlich; als die Polizei den Missetäter vom Balkon scheuchte und ihn ins Röhrchen blasen ließ, hatte er 1,87 Promille. „Das war aber wohl mehr als ein Bier“, meinte der Richter. Hatte der Angeklagte doch zuvor erklärt, er habe sich von früheren Trinkgewohnheiten losgesagt, sich vom Umfeld all der „sogenannten Alkoholiker“ um ihn herum abgesetzt. Er trinke seit Längerem nur noch ein Bier zum Feierabend. Von Schuldunfähigkeit ob hoher Promillewerte war in der Verhandlung keine Rede. Der Verteidiger aber ließ anklingen, dass der 60-Jährige im Suff Dinge zwar getan hat, die kein vernünftiger Mensch tut – allerdings hätten die Manipulationen am Geschlechtsteil sicherlich nicht dazu gedient, sich vor den Augen anderer selbst zu stimulieren. Und genau dies – eigener Lustgewinn – müsse einer Handlung inneliegen, um die Tatbestände Missbrauch und Exhibitionismus zu erfüllen. Die beiden heute 14 und 17 Jahre alten Zeugen hatten vor Gericht bestätigt, dass es zu keiner Selbstbefriedigung gekommen war. Sie waren damals zur Mutter des einen gelaufen, die umgehend gehandelt hatte. „Ich bin hin, hab mich versteckt – und es gesehen“, erklärte sie. Und dann habe sie ihm mal gehörig die Meinung gegeigt. „Er hat geplärrt: ,Ich hann kä Angscht.’ Hab ich zurückgerufen: ,Unn ich schun gar net ...’“, beschrieb die 39-Jährige die folgende Auseinandersetzung. Obwohl der Mann jede Menge Vorstrafen hat, gewährte das Gericht noch einmal eine neue Bewährungschance.

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