Kusel „Lasst einen neuen Bericht schreiben“, rät Soziologe Detlef Baum

Der Soziologe Detlef Baum betreute den Armutsbericht im Landkreis Bad Kreuznach, der im Oktober 2012 veröffentlicht wurde. Im Mai 2013 war Baum auch in Kusel, um über Grundlagen eines Armutsberichts zu sprechen. Der Soziologe unterrichtete über 20 Jahre an der Hochschule Koblenz und forschte dort vor allem zu den Themen Armut, Jugend und Stadt- und Gemeindeforschung. Im RHEINPFALZ-Interview sagt er, warum er den Kuseler Armutsbericht nicht für angemessen hält.

Herr Baum, Form und Ergebnisse eines Armutsberichts hängen stark davon ab, wie man Armut überhaupt definiert. In Kusel hat sich die Kreisverwaltung für den Ressourcenansatz entschieden. Wie schätzen Sie diesen Ansatz im Vergleich zum Lebenslagenansatz ein, der für den Bad Kreuznacher Bericht gewählt wurde?

Der Ressourcenansatz sagt: Die einzige Ressource, die die Menschen brauchen, ist Geld. Mit Geld kann ich mir alles kaufen und sozial teilhaben. Ich denke allerdings, dass ein Mensch zwar Geld braucht, damit aber nicht alles lösen kann. Bildung und Gesundheit zum Beispiel lassen sich nicht mit Geld kompensieren. Der Lebenslagenansatz dagegen betrachtet mehrere Dimensionen: Das Einkommen ist eine davon, dann kommen Wohnen, Gesundheit, soziale Teilhabe und Bildung hinzu. Mich hat es gewundert, dass im Kuseler Armutsbericht der Ressourcenansatz gewählt wurde, zumal ich im Mai vergangenen Jahres in Kusel noch gesagt habe, dass dies ein sehr fragwürdiger Ansatz ist. Was macht denn Armut auf dem Land aus? Anders gefragt: Welche Aspekte außerhalb der Finanzen hätte der Bericht untersuchen sollen? Es sind viele kleine Aspekte, die da zusammenkommen. Altersarmut wird zum Beispiel nicht thematisiert. Dabei ist diese auf dem Land ein großes Problem. Und sie tritt nicht offen zu Tage: Es ist eine verschämte Armut. Dann kommt das Thema Wohnungslosigkeit hinzu. Mag sein, dass das in Kusel kein Problem ist, aber dann muss das irgendwo stehen. Die Bildungschancen auf dem Land sind geringer, der Zugang zum Gesundheitssystem ist ebenfalls schwieriger und teurer. Die Seiten zu Jugendarbeitslosigkeit sind zwar wunderschön gemacht, aber die Frage ist doch: Welche Perspektive haben Jugendliche in ihrem Dorf? Es ist ja etwas anderes, ob jemand mit 65 arbeitslos wird und dann halt in Rente geht, oder ob ein junger Mensch überhaupt keine Aussichten auf einen Job hat. Das wird überhaupt nicht problematisiert. Generell wird einfach wenig problematisiert. Das ist keine adäquate Berichterstattung. Außerdem geht der Bericht mehrere Seiten lang nur auf Zahlen auf Bundesebene ein. Das ist ganz interessant, aber es steht völlig neben der eigentlichen Diskussion. Kommt der Armutsbericht dann überhaupt zu einem aussagekräftigen Ergebnis? Ja, insgesamt steht Kusel nicht ganz so schlecht da, zumindest was das Geld angeht, das der Kreis für Sozialleistungen ausgibt. Aber was bedeutet das? Auf der einen Seite sind die Arbeitslosenzahlen niedrig. Aber auf der anderen Seite müsste man schauen, welche Perspektiven Arbeitslose haben. Es fehlen auch Empfehlungen an die Politik. Denn die Politik kann ja im Endeffekt gestalten. Mich wundert es auch, dass gar kein Kontakt zu den freien Trägern aufgenommen wurde, die sich mit Armen auseinandersetzen: Vereine und die Jugendarbeit zum Beispiel. Das ist schade. Auf der letzten Seite des Berichts wird ja versucht, die Menschen zu Wort kommen zu lassen, die mit Betroffenen arbeiten. Wie schätzen Sie das ein? Das ist ein netter Versuch, aber es werden nur die üblichen Sachen bestätigt. Dass allerdings die Verbände auf die verdeckte Armut hinweisen müssen, die im restlichen Bericht nicht thematisiert wird, das hätte die Verwaltung doch selbst wissen müssen. Welche Konsequenzen sollte der Kreis aus dem Armutsbericht ziehen? Man könnte sagen: Schreibt einen neuen Armutsbericht. Oder vielmehr: Lasst einen schreiben. Eine Kreisverwaltung alleine kann keinen Armutsbericht schreiben, da sie selbst mit dem Thema operieren muss. Ein Blick von außen würde auf jeden Fall neue Aspekte in die Diskussion bringen. Ich glaube, der Landkreis hat schlicht das gemacht, was am einfachsten war. Doch man muss sich immer fragen, ob das eigentlich etwas nutzt, was man da tut. (hot)

x