Kusel „Das passt doch zu diesem Saufgelage“

Zu früh gefreut: Dass sogar mal die Staatsanwalt Freispruch fordert, ist zwar selten, kommt aber vor. Dass ein Gericht aber unbeeindruckt trotzdem einen Schuldspruch fällt, ist eher selten. So geschehen aber in einer Verhandlung vor dem Amtsgericht Kusel. Der Strafrichter hat einen mutmaßlichen Schläger der Körperverletzung schuldig gesprochen und zu 900 Euro Geldstrafe verdonnert. Und dies, obwohl immerhin sechs Zeugen steif und fest behauptet hatten, es sei doch überhaupt nichts vorgefallen.

Angeklagt: ein 26-jähriger Mann. Ihm schräg gegenüber sitzt ein 18-Jähriger, der als Nebenkläger auftritt. Zu Verhandlungsbeginn steht eine Zeugenschar fast in Fußballmannschaftsstärke im Saal und lauscht der Zeugenbelehrung. Hört, wie der Richter warnt, dass uneidliche Falschaussagen strafbar sind, dass auf Meineid gar zwingend eine Freiheitsstrafe folgt. Und einige scheint das ganz und gar nicht zu beeindrucken. Denn eines steht unumstößlich fest: Mindestens vier Zeugen haben an diesem Morgen im Gerichtssaal das Blaue vom Himmel herunter gelogen. Entweder die aus der Clique des Angeklagten, oder aber eben das Prügelopfer und sein Anhang. „Typische Lagerbildung“, kommentierte dies der Nebenklage-Anwalt. Nur ein einziger darf im Strafprozess nach Lust und Laune lügen: der Angeklagte. Dass nun der 26-Jährige genau dies getan hat, davon zeigte sich der Strafrichter jedenfalls überzeugt. Der Mann hat seiner Überzeugung nach an einem Samstagabend im Oktober 2017 in Wolfstein einem damals 17-Jährigen derart mit der Faust aufs Auge geschlagen, dass das Opfer kurzzeitig besinnungslos war und danach drei Tage im Krankenhaus lag. Nach dem Zuruf „Hast du meine Mutter beleidigt?“, sei der 26-Jährige dem Jugendlichen immer näher auf die Pelle gerückt. Beide Hauptbeteiligte waren in Begleitung unterwegs, der Angeklagte hatte einige Leute mehr um sich versammelt. Bei der eher zufälligen Begegnung auf der Straße abseits des Kerweplatzes an einem Gastronomiebetrieb, habe nun der 26-Jährige den 17-Jährigen erspäht, verfolgt, ihn eingeholt und ihm das Auge blau gehauen. Alles Quatsch, behauptete der Angeklagte. Er kenne den anderen überhaupt nicht. Er habe ihn vielleicht schon mal gesehen. Aber an jenem Abend seien sie sich nie und nimmer begegnet. Und das könnten auch all jene bezeugen, die den ganzen Abend mit ihm unterwegs gewesen seien. Genau das taten auch alle mehr oder weniger deutlich. Der Angeklagte war mit Lebensgefährtin und seinen aus der Vorderpfalz angereisten Freunden und Verwandten aus einem einige Kilometer entfernten Ort an der Kreisgrenze zur Wolfsteiner Kerwe gefahren. Dort habe man Bekannte. Nach einem Halt zum Zwecke des Erwerbs hochprozentiger Getränke sei man am Abend bei einer Bekannten in die Party-Garage eingerückt, um dort „vorzuglühen“. Dann sei man zum Kerweplatz getigert. „War nix los“, also habe man eine Kneipe aufgesucht, da gesessen, später sei man bei einem anderen Bekannten in die Sauna gegangen, schließlich wieder zur Kerwe. „Das war’s. Nix Klopperei.“ Die Aussagen der Entlastungszeugen folgten einer eigenen, recht eigenwilligen Logik. Beispiel: „War jemand betrunken?“, wollte der Richter wissen. „Ei jo. Voll waren die all, weil es war jo Kerb, und wenn man auf die Kerb geht, dann trinkt man jo auch was.“ Verständnisvolles Nicken der Juristen; davon hatte jeder schon mal gehört. „Und? Was war mit ihnen?“, fragte der Richter. „Tja, ein paar Bierchen und ein paar Schnaps. Aber ich war nicht klinisch tot...“. Soso. „Und sie?“, wollte der Vorsitzende von jenem Zeugen wissen, der vorgab, sich am wenigsten zu erinnern. „Ich war voll.“ – „Wie voll?“ – „Oah, voll.“ – „Richtig voll?“ – „Sau voll.“ Die Zeugen – allesamt zwischen Mitte Zwanzig und Mitte Dreißig – beharrten jedenfalls darauf, dass sich an jenem Abend nichts Außergewöhnliches zugetragen habe. Nein, der Angeklagte habe auch nicht Hose und Unterhose heruntergelassen, wie behauptet. Schon gar nicht habe er danach irgendjemanden geschlagen. Während der Vertreter der Staatsanwaltschaft nun zu dem Schluss gelangt war, dem 26-Jährigen sei nichts nachzuweisen, entschied der Strafrichter auf schuldig. „Bei lebensnaher Betrachtungsweise“ sei es genau so gewesen, wie es in der Anklage stehe. „Das passt doch alles ganz genau zu diesem Saufgelage“, kommentierte der Vorsitzende die Sache. 90 Tagessätze zu je zehn Euro soll der Verurteilte nun zahlen. Das Urteil ist allerdings noch nicht rechtskräftig.

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