Was Leser ärgert Stolpersteine: Jüdisches Kahn-Haus soll weichen

Das ehemalige Haus der Familie Kahn. Hier gab es einmal einen Tuchhandel.
Das ehemalige Haus der Familie Kahn. Hier gab es einmal einen Tuchhandel.

Die Kreisverwaltung Germersheim beabsichtigt ein modernes Kreishaus in der Stadtmitte zu bauen. Das Haus des ehemaligen Hoflieferanten Kahn soll dafür fallen. Das ist falsch, denkt ein Germersheimer und erinnert an das Grab der Liebenden.

Vor über einem Jahr wurden in Germersheim in der Hauptstraße Stolpersteine verlegt – vor den Häusern ehemaliger jüdischer Mitbürger, die von Nazis und ihren Handlangern aus den Häusern verschleppt und später getötet wurden. Die Kreisverwaltung plant seit über 20 Jahren einen Neubau. Ziel ist es Landrat Fritz Brechtel zufolge, die vielen Außenstellen der Verwaltung in einem Gebäude zusammenzuführen.

Nun regt sich Widerstand gegen den Anbau an das historische Gebäude aus der Festungszeit, in dem die Kreisverwaltung untergebracht ist. Rüdiger Ehrsam spricht von der „Gefahr der Zerstörung eines wichtigen Kulturdenkmals der jüdischen Stadtgeschichte“ und möchte das Gebäude neben dem Willy-Brandt-Weg (Queich begleitender Weg) in der Hauptstraße erhalten und zu einem Museum für Juden beim Militär und in der Festungsstadt machen.

Einst ein Verwaltungsfehler

Rüdiger Ehrsam ist einer der Stadtführer in Germersheim und bietet regelmäßig Führungen über den Friedhof an. Im Jahr 2007 wurde dort das „Grab der Liebenden“ wegen eines Verwaltungsfehlers entfernt und bei den Führungen führt das „jedesmal zu Diskussionen und Reaktionen“, sagt Ehrsam. Beerdigt waren in dem Grab zwei junge Menschen: Lina Erne verstarb an einer missglückten Abtreibung und ihr Freund Jakob Wolz brachte sich am selben Tag, dem Martinstag 1905, um. Damit nicht auch das Kahn-Haus in der Hauptstraße versehentlich abgerissen wird, hinterher Leute sagen würden, das Haus hätte man erhalten sollen, setzt er sich nun für den Erhalt des Gebäudes ein. Ehrsam begründet den Erhalt unter anderem damit, dass das Haus „vor Ort das letzte und auch in der Pfalz eines der noch wenigen, im original erhaltene Gebäude eines königlichen Bayerischen Hoflieferanten“ ist, von denen es „in Germersheim lediglich zwei und selbst in der gesamten Pfalz nur rund 60 gab“. Juden seien unterrepräsentiert. Das Gebäude sei so wie vom Erbauer konzipiert bis auf den Balkon und den Schriftzug noch im Original erhalten. Ehrsam würde es sich wünschen, dass das Gebäude wieder „mit goldenen Schriftzug“, wie auf dem Foto in einem Buch über die Stadtgeschichte veröffentlicht, saniert wird.

Für Landrat Fritz Brechtel ist die Geschichte, die das Haus durchlebt hat, neu. Das Haus sei 2017 gekauft worden. Bevor die Verwaltung das Haus erworben hat, wurde Brechtel zufolge geprüft, ob es unter einem Schutz steht. Wäre das so gewesen, „hätten wir es nicht gekauft“, sagt Brechtel. Zwischenzeitlich sei das Haus als Lager genutzt worden. Und damit schlägt sich ja fast ein Bogen zur ursprünglichen Nutzung. Das „Haus Kahn war durch seine Spezialisierung als Tuch- und insbesondere Militäreffektenhändler auf engste mit der Stadt und vor allem der Festung Germersheim verbunden“, sagt Rüdiger Ehrsam, der fragt: „Welche Spezialisierung könnte typischer sein für eine Stadt, deren überproportionaler Anteil an Bewohnern aus Militärangehörigen bestand?“ Durch seine Größe und seine markante Bauform verbinde es einerseits die schlichte Architektur der Innenstadt aus Ziegelstein mit den neugotischen Dekorelementen seiner Erbauungszeit. Das Gebäude sei wohl das bedeutendste Zeugnis für wirtschaftlichen Erfolg einer jüdischen Familie, welches noch existiert, da andere wie das Unternehmen der Familie Dreyfuss vor längerer Zeit abgerissen wurden. Vor ein paar Jahren sei sogar bei einer Spezialauktion für Militaria ein Säbel versteigert worden, auf welchem der Name des Händlers „Friedrich Kahn Germersheim“ eingraviert war.

Ort jüdischer Kultur

Auch war das Haus Rüdiger Ehrsam zufolge „Sitz des Vorsitzenden der örtlichen jüdischen Gemeinde und böte somit die Möglichkeit für eine Nutzung, die den einstigen Bewohnern Rechnung trägt“. Aus seiner Sicht wäre das einerseits ein authentischer Aufführungsort für jüdische Musik, Lesungen aus Büchern über Juden oder jüdischer Autoren. Andererseits böte sich die Möglichkeit für ein Museum zum Thema „Juden im Militär“ an einem authentischen Ort. Diese Idee wird laut Ehrsam „bereits von namhaften Experten wie Prof. Michael Wolfsohn, Prof. Söhnke Neitzel, Prof. Dr. Dr. Michel Friedman sowie dem obersten Militärrabbiner Zsolt Balla und ehemalige Berliner Abgeordnete Marina Weisband unterstützt“.

Die Stolpersteine wurden im Februar 2022 verlegt.
Die Stolpersteine wurden im Februar 2022 verlegt.

In Germersheim ist „das Gedenken an die einstigen jüdischen Bewohner“ im „Vergleich zu anderen Orten noch nicht sehr ausgeprägt“, meint Ehrsam. Es wäre doch seltsam, wenn auf Basis „einer privaten Initiative und unterstützt von Schülern aus einer Arbeitsgruppe des örtlichen Gymnasiums“, Stolpersteine gesetzt wurden und dann nicht lange danach die „Erinnerungsspuren an die Familie weitgehend beseitigt würden“. Und noch einen historischen Grund spricht Rüdiger Ehrsam zufolge für den Erhalt des Gebäudes: Da die ehemalige Synagoge vor vielen Jahren an privat verkauft wurde, gibt es nicht „wie in anderen Orten die Möglichkeit, die Rolle einer Gedenk- und Kulturstätte des Judentums zu erfüllen“. Das Haus Kahn aber vielleicht schon. Schließlich habe die Stadt rund 700 Jahre jüdische Geschichte aufzuweisen.

Andenken bewahren

„Im Rückblick ein unglücklicher Verlauf“, sagt Brechtel zu den historischen Hintergründen, die aber selbst für das Land und den Denkmalschutz keine Rolle spielen. Informiert sei man über die geplante Verlegung der Stolpersteine gewesen. Aufgrund der jetzt bekannten Geschichte überlege man, „wie das Andenken aufrecht erhalten werden kann“. Doch die Kreisverwaltung benötige die Büros. Dem Platzbedarf eines Neubaus für die Kreisverwaltung entgegnet Rüdiger Ehrsam, dass es durch Corona einen Digitalisierungsschub gegeben habe: „Bürger werden ihre Angelegenheiten ohne Termin und Bürobesuch erledigen, für die wenigen Besprechungen reichen eine weitaus kleinere Anzahl an Büroräumen.“ Im Norden von Rheinland-Pfalz würden derzeit Kooperationen zwischen Landkreisen erprobt. Vielleicht sei auch das eine Möglichkeit hier, Platz einzusparen.

Jährlich wachse „die Kreisverwaltung um zehn bis 20“ Mitarbeitende, sagt Brechtel. Der Neubau sei notwendig. Die Verwaltung habe den Förderantrag für den Neubau mit der Entwurfsplanung beim Land eingereicht. ADD und SGD prüfen diesen. Vielleicht gebe es bis Sommer einen positiven Bescheid, dann beginne die Genehmigungsplanung, sagt Baudezernent Michael Gauly. Bis zu den Ausschreibungen dauere es bestimmt bis Mitte kommenden Jahres. Gauly und Brechtel sind sich einig, dass das Haus-Kahn frühestens Ende kommenden Jahres abgerissen wird.

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