Kreis Germersheim Polizei erwartet blutigen Zusammenstoß

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Pfortz/Maximiliansau. Die 1929/30 einsetzende Weltwirtschafts- und Staatskrise verschärfte die politischen Gegensätze auch im 2400 Einwohner zählenden Industriedorf Pfortz-Maximiliansau. Das militante Auftreten von NSDAP und SA führte dort zu schweren Auseinandersetzungen.

Für ihre gewalttätig-provokante Straßenagitation schien die Rheingemeinde bestens geeignet: Großfabriken (Linoleumwerk, Schenck AG, Zellulosewerk Vogel & Bernheimer), zahlreiche Einpendler, vor allem aber die im Arbeitermilieu verwurzelten Linksparteien (SPD, KPD) bildeten ein Terrain, auf dem die konfliktträchtige Profilierung der Nationalsozialisten zu gedeihen versprach. Hier wollten diese sich als junge, entschlossene und unverbrauchte Bewegung inszenieren. Zumal sie bei den Reichstagswahlen am 14. September 1930 nur 7,2 Prozent der Einheimischen gewinnen konnten – erheblich weniger als in vergleichbaren südpfälzischen Kommunen. Bereits Ende Juni 1930 standen die Zeichen auf Sturm. Vor der öffentlichen Feier anlässlich des Abzugs der französischen Besatzung hatten badische Nazis am pfälzischen Rheinufer die Hakenkreuzflagge gehisst. Aus Furcht vor ähnlichen Provokationen verlegte der Gemeinderat die Veranstaltung vom Rhein auf den sicheren Rathausplatz. Lauthals bejubelte das NS-Kampfblatt „Der Eisenhammer“ den Reichstagswahlerfolg im Amtsbezirk Germersheim: Es seien „die Erwartungen der kühnsten Optimisten um 100 Prozent übertroffen“ worden. „Besonders wertvoll ist es uns, dass in dem bisher brachgelegenen Gebiet am Rhein (Pfortz, Wörth, Hagenbach, Neuburg, Berg) der Boden erschlossen ist. Überfüllte Versammlungen hatten wir hier, und fleißige Mitarbeiter sorgen dafür, dass der Same in dieser Ecke weiter aufgeht“. Zugleich kündigte die NSDAP-Ortsgruppe „Rhein-Lautereck“ unter Fritz Welsch, Ingenieur im Linoleumwerk Maximiliansau, für Sonntag, 19. Oktober 1930, ihre erste große öffentliche Aktion an. Dieser „Deutsche Tag“ umfasste einen SA-Propagandamarsch über Wörth und Hagenbach zurück nach Pfortz. Ferner eine Gefallenenehrung am Pfortzer Kriegerdenkmal und eine interne Feier. Die mit der Durchsetzung des Uniformverbots befasste Gendarmerie tappte im Dunkeln. Mangels verlässlicher Quellen musste sie die Teilnehmerzahl schätzen. Wie die Polizisten rechnete auch das Bezirksamt Germersheim mit einem „blutigen Zusammenstoß“. Denn „keine der politischen Parteien der hiesigen Gegend führt diesen Tamtam auf wie die NSDAP“, rügte ein Gendarm. Er prophezeite: Ein Teil wird in Uniform und mit Hakenkreuzfahne kommen. „Ihr herausforderndes freches Benehmen muss als abgeschmackt und die Bevölkerung aufreizend bezeichnet werden“. Ihre Reden seien „ziemlich aggressiv“, verletzten das im Frühjahr 1930 deutlich abgeschwächte Republikschutzgesetz aber „nicht direkt“. Bürgermeister Rudolf Müllers Verbotsantrag wurde darum verworfen. Da man bis zu 700 Marschierer erwartete, zog das Bezirksamt 28 mit Karabinern bewaffnete Gendarmen aus dem Bezirk zusammen. Das Überfallkommando der Schutzpolizei Speyer bildete die Eingreifreserve. Streng untersagt wurde das Tragen von Uniformen und uniformähnlicher Kleidung. Ein kleinerer Teil der insgesamt 400 SA-Leute hatte in Pfortz schon am Samstagabend „durch Trommeln und Pfeifen bis fast zur mitternächtlichen Stunde“ Aufsehen erregt. Das Gros traf am Sonntagmorgen ein. Sie stammten aus Karlsruhe (90), Knielingen (80), Teutsch- (64) und Welsch-Neureut (37) und Ettlingen (15). Zum pfälzischen Kontingent steuerte Winden 30, Schaidt 17 und Annweiler 57 Mann bei. Schon auf der badischen Seite, beim Bahnhof Maxau, habe es „eine kleine Schlägerei“ mit betrunkenen Kommunisten gegeben, berichtete das Gendarmerie-Kommando Germersheim. Um 9.30 Uhr startete der SA-Propagandazug mit 30 Spielleuten. Die Hälfte der Teilnehmer war nach Angaben der katholischen Tageszeitung „Der Rheinpfälzer“ (Landau) „kaum dem Kindesalter entwachsen, sogar Schüler waren noch dabei“. Die Demonstration passierte Wörth und Hagenbach ohne Zwischenfall, obwohl Parolen zu hören waren, die brachiale Gegenreaktionen provozieren sollten: „Wer hat uns verraten? - die Sozialdemokraten! Wer macht uns frei? - die Hitlerpartei!“ Trupp-Führer riefen „Deutschland“, daraufhin brüllten ihre Mannschaften „erwache“. Zur Mittagszeit spitzte sich die Lage zu. Am Pfortzer Kriegerdenkmal wollten die Nationalsozialisten einen Lorbeerkranz mit Hakenkreuzschleife niederlegen. Dort hatte sich eine „größere Anzahl“ einheimischer SPD- und KPD-Anhänger sowie „parteiloser“ Männer und Frauen versammelt, darunter „auffälligerweise viele junge Mädchen“, schilderte die Polizei: „Die Aufgänge zum Kriegerdenkmal waren von Gegendemonstranten besetzt. Die am Kriegerdenkmal anwesende Gendarmerie hatte größte Mühe, die immer wieder anstürmende Menge, welche die Kranzniederlegung verhindern wollte, in Schach zu halten, das heißt, Schlägereien, die sich zum Teil schon entwickelt hatten, im Keime zu ersticken. Der Gummiknüppel musste von einzelnen Beamten gebraucht werden. Von der erregten Menge erschollen Rufe: ’Schlagt sie tot, diese Lausbuben, Vaterlandsverräter, Bettsächer, die Hosenschisser, die Separatisten sind noch besser als diese.’ ’Die Gendarmen sind ihr Glück, die hätten wir alle totgeschlagen.’ ’Die Gendarmen müssen ja diese Lausbuben beschützen.’ Man hörte häufige Rufe: ’Pfui, pfui, heil Moskau’. Diese wurden mit Gegenrufen ’Heil Hitler’ beantwortet“. Fortsetzung folgt

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