Kreis Germersheim Graffitis statt Schmierereien
Anschleichen wie ein Dieb in dunkler Nacht, überfallartig Zuschlagen beziehungsweise die Farbe auf den Untergrund bringen. Und dann die Beine in die Hand nehmen, bevor einen der lange Arm des Gesetzes am Kapuzenpulli packt – oder die nächste U-Bahn überrollt. Das ist die landläufige Vorstellung vom Graffitisprühen.
Das ist natürlich stark verkürzt dargestellt. Denn einmal gibt es für Graffitikünstler inzwischen vielfältige legale Betätigungsmöglichkeiten. Wie etwa das vom Wörther Künstler und Stadtrat Andreas Hella initiierte Vorhaben, die örtlichen Unterführungen zu verschönern. Zum andern sprüht der Streetartist nicht einfach wild drauf los, sondern macht sich wie schon jeder Renaissancemaler einen Entwurf. „Hier habe ich mir die Meterstriche aufgemalt“, zeigt Alex Weber seine Skizze. Weil die Wand der Eisenbahnunterführung an der Ottstraße mit ihren 19 Metern „schon recht groß“ ist, hat der in Maximiliansau wohnende 34-Jährige seinem futuristisch gestalteten Künstlernamenszug („Kise“) an diesem Sonntag kurzerhand noch einen mannshohen Joker aus den Batman-Comics hinzugefügt. 50 Dosen Farbe wird Kise verbraucht haben, bis sein Wandbild fertig ist. „Der Kopf ist aber viel zu breit“, kritisiert Reak (32) die Abbildung des Superschurken. Er ist der Spezialist für „Characters“, also figürliche Darstellungen, des Sprayerduos „Trendhaterz Crew“. Also fügt Kise noch Haare hinzu, so dass das Gesicht schmaler wird. „Das ist ja das Gute am Graffiti, dass man immer wieder drübermalen kann“, sagt Linda Flottow. Die 19-jährige aus Leimersheim arbeitet an einem riesigen „Candy Crash“-Schriftzug. Daneben bricht ein Auto durch eine Backsteinwand und rast auf einen übergroßen, knallig glacierten Donut zu. Eine Anspielung auf ein beliebtes Onlinespiel. Während Linda die übergroßen Buchstaben mit letzten bunten Schattierungen versieht, mühen sich Isabella Kunst (15) und Nicole Zwirnmann (19) mit einer Schablone am Backsteinmuster ab. „Das ist noch jede Menge Arbeit“, stöhnt Nicole. „Ich hoffe, wir werden rechtzeitig fertig, aber notfalls mache wir eben eine Nachtschicht.“ Während die Trendhaterz-Crew und die anderen „Profisprayer" schon lange in der Szene unterwegs sind, haben die am Projekt teilnehmenden Schüler des Europagymnasiums und des CJD erst vor kurzem mit dem Dosenmalen angefangen: „Das ist Mal was Neues“, sagt Nicole, die sonst eher zum Bleistift oder Ölfarbe greift. Auch Isabella malt sonst „eher klassisch“. Zum Beispiel Portraits von ihren Eltern und Freunden. Geübt hätten die Jugendlichen während der vergangenen drei Monate einmal wöchentlich in seinem Atelier, sagt Andreas Hella. Für seine Arbeiten greift er zur Sprühpistole. „Mit Dosen habe ich das letze Mal vor 20 Jahren was gemacht.“ Aber schließlich gehe es auch beim Graffiti darum „ein Bild zu entwickeln“. Ganz klassisch eben.